# Wenn der Vorhang fällt
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DEAR PRUDENCE - Paul Rudd - 16.08.2020

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MÉLANIE LAURENT & PAUL RUDD # PAULS APARTMENT # 19. JUNI 2018 # FRÜHER ABEND


Paul band sich mit routinierten Handgriffen die Krawatte und betrachtete dann mit skeptischen Blicken den Mann im Siegel. Diesen geschniegelten Anzugträger. Paul runzelte die Stirn. Der Schauspieler hielt sich ja durchaus für einen humorvollen Gesellen, aber die Kombination aus einem – laut Einladung – 'entspannten Zusammensein' und diesem Dresscode, den Witz verstand der Amerikaner nun wirklich nicht. Paul sah nicht gerade so aus, als würde er gleich zu einem gemütlichen Abendessen gehen. Er sah eher so aus, als würde er sich jeden Moment zu einem Vorsprechen für Downton Abbey aufmachen, wo er auf eine Rolle als blaublütiger Schnösel hoffte! Ja, ja, Leute aus dem Business würden auch bei dem Dinner sein und das machte es irgendwo und so halbwegs auch zu einem beruflichen Termin, zumindest im weiteren Sinne und bei einem solchen zog man sich dementsprechend an, keine Frage. Aber auch jemand wie Paul, der unheimlich gern scherzte und Witzen aller Art sehr zugetan war (sogar den ganzen miesen oder jenen ohne Punchline), selbst so ein Scherzkeks, nahm ein Wörtchen wie 'gemütlich' nun mal sehr ernst, wenn es in einer Einladung zum Essen Verwendung fand. Gerade dann! Und gerade auch an einem Tag wie heute, wenn die Temperaturen so sommerlich waren, dass man die Badehose dem Businessanzug eigentlich vorziehen würde. Der Schauspieler strich sich zögerlich das dunkle Haar aus der Stirn, den Blick noch immer auf sein Spiegelbild gerichtet, die Skepsis noch immer in den Augen. Einen Moment lang verharrte Paul noch so. Dann hellte sich das Gesicht des Amerikaners jedoch wieder auf. Paul war nicht besonders wehleidig und er war nicht jemand, der sich gerne im Selbstmitleid suhlte. Der Mann im Spiegel drückte den Rücken durch und schnippte einen Fussel von seiner Schulter. Hey, Schwitzen war bekanntlich gesund und wenn man mit hohen Tieren speisen wollte, dann musste man sich halt auch wie sie kleiden. Wie sie – oder eben wie jemand, der zu den Men in Black gehörte!

Paul wandte den Blick vom Spiegel ab, drehte das Handgelenk und sah auf seine Armbanduhr. Noch musste er nicht aufbrechen. Unschlüssig ging er im Schlafzimmer ein wenig auf und ab. Der Amerikaner fuhr sich gedankenverloren mit der Hand über das stoppelige Kinn und kratzte sich dort. Wie sollte Paul die Zeit bis zum Aufbruch totschlagen? Sollte er ein paar Seiten lesen? Eher nicht. Kaum wäre der Amerikaner richtig in das Buch seiner Wahl versunken, würde Paul sich auf den Weg machen müssen. Und das galt leider für viele andere Aktivitäten auch. Was für eine TV- oder Filmerfahrung war das, bei der man gerade dann ausschalten musste, wenn es langsam richtig spannend wurde! Natürlich hätte er auch absichtlich einen grottenschlechten Film wählen können, bei dem man froh war, wenn man ihn endlich abstellen konnte. Doch derartig masochistisch veranlagt war Paul dann auch wieder nicht. Und sonst ... Im Haushalt gab es nichts zu erledigen, was wirklich in das entsprechende Zeitfenster des Schauspielers gepasst hätte. Paul war schließlich auch nicht gerade erpicht darauf sich später am Abend in einem halb geputzten Bad, in dem vielleicht sogar noch ein Eimer, Lappen und Putzmittel in Sprühflaschen herumstanden, die Zähne zu putzen. Der Blick des Schauspielers fiel auf ein eingerahmtes Foto seiner Kinder, welches im Regal thronte. Das Bild war in einem Familienurlaub aufgenommen worden. Darby und Jack standen Arm im Arm unter einer großen Palme und strahlten um die Wette. Auf dem Bild sahen sie wie eine kleine Einheit aus. Wie Freunde, zwischen die kein Blatt passte. Weshalb Paul diesen Schnappschuss so mochte. Das Foto zeigte eine Verbundenheit unter den Geschwistern, die letztlich eben doch stärker war als all das gegenseitige Ärgern, die wütenden 'Du nervst total!'-Anschuldigungen, die "Du bist ein Baby!/Selber Baby!'-Behauptungen und all die Rangeleien um die letzten paar M&M's in der Tüte. Auf dem Bild waren die Gesichter der Geschwister gerötet. Sie hatten auch vor Schweiß geglänzt, als das Foto aufgenommen worden war, doch das kam auf dem Bild nicht so richtig rüber. Beide Kinder hatten Sonnenbrillen auf den Nasen und beide trugen fast identische, knallbunte Basecaps. Die Art, die man immer nur in den Ferien toll fand und die danach im Schrank verschwanden, um dort ein deprimierendes Schattendasein zu führen. Beim Anblick dieses Bildes kam Paul ein Gedanke und ein Lächeln breitete sich auf seinen Lippen aus.

Am Wochenende würden die Sprösslinge ihren alten Herrn besuchen, da konnte dieser doch schon mal schauen, was er für seinen Besuch bereits alles im Haus hatte und was eventuell noch gekauft werden musste! Wie so viele andere Eltern auch scherzte Paul gerne mal, dass seine Kinder ihm die Haare vom Kopf fraßen – doch wenn er ehrlich war, dann kaufte er für diese Besuche nur zu gerne jenen Naschkram, der bei ihren Familien-Filmabenden bereits Tradition hatte. Oder generell Lebensmittel, mit denen er den Kindern eine Freude machen konnte. Gerade als Ant-Man-Darsteller wusste Paul, dass gerade die kleinsten Dinge oft die größte Wirkung hatten. Nichts ließ einen etwa so gut in den Tag starten wie ein Sandwich, welches dick mit der liebsten Erdnussbutter bestrichen war. Apropos! Der Amerikaner befand sich mittlerweile in der Küche seines Apartments und musterte prüfend das Glas Erdnussbutter in seinen Händen. Darbys Lieblingsmarke (Jack fand sie offiziell 'schon ganz okay, schätze ich' und liebte sie inoffiziell genauso sehr wie seine kleine Schwester), die angeblich ganz besonders cremig war und gefühlt nur in Eimern verkauft wurde. Bei dem Gedanken musste Paul unweigerlich schmunzeln. Würde ihn seine kleine Tochter besuchen oder würde doch ein hungriger Elefant übers Wochenende vorbeischauen? Wobei, wenn man es sich recht überlegte, dann würde die schmierige Creme für den Dickhäuter vielleicht nicht mehr ganz reichen, das große Glas war immerhin bereits angebrochen. Ein kleines Mädchen sollte damit aber noch länger als nur ein einziges Wochenende lang hinkommen. Also war Erdnussbutter für Darby (und Jack!) nichts, was der Amerikaner auf seine Einkaufsliste schreiben musste. Paul wandte sich gerade dem Kühlschrank zu und wollte nachsehen, ob sich dort noch genügend haltbare Milch finden ließ, als es an der Tür klingelte. Der Amerikaner hob die Augenbrauen und sah irritiert aus der Wäsche. Er musste noch immer nicht los und hatte außerdem auch keinen Fahrer bestellt. Paul hatte zumindest vorgehabt selber zu fahren. Er kratzte sich verwundert am Kopf, während er die Küche verließ und zur Wohnungstür ging.

Kurz darauf fand der überrumpelte Amerikaner sich mit einer völlig aufgelöst wirkenden Mélanie im Flur des Apartments wieder und geleitet sie ins Wohnzimmer. Er wusste nicht was los war, konnte aber sehen, dass Etwas los war. Was war das in den Augen der Französin? Verzweiflung? Wut? Bestürzung? Eine Mischung aus all diesen Dingen? So hatte Paul die talentierte Europäerin noch nie gesehen, so kannte er sie gar nicht. Das war nicht diese übersprudelnde Individualistin, die der Schauspieler in sein Herz geschlossen hatte. Das war – wenn überhaupt – ein bleiches Abziehbild dieser wunderbaren Frau. Es fiel ihm schwer Mélanie so zu sehen. Pauls Herz schien sich bei diesem Anblick schmerzhaft zusammenzuziehen. Sie brauchte Hilfe. Das sah er auf einen Blick. Die Avengers, die Kavallerie, ganz gleich! Ja, sogar die Justice League wäre willkommen gewesen, wenn die Superhelden-Truppe um Batman denn nur diesen traurigen Ausdruck in Mélanies Augen zum verschwinden gebracht hätte ...

Die Kollegen waren im Wohnzimmer, als Paul merkte, dass die Blondine ihn musterte und zu seiner Aufmachung hin schielte. Kein Wunder, wer lief schon mitten am Tag im Anzug in seiner eigenen Wohnung herum! Er merkte wie seine Ohren leicht rot anliefen. „Oh, der Anzug!“ Der Amerikaner lachte auf und deutete auf die gemütliche Couch, die Blondine konnte sich ruhig schon setzen. „Meine Waage ist kaputt und damit kontrolliere ich mein Gewicht bis sie wieder repariert ist oder ich eine neue habe.“ flunkerte er. „Wenn ich in diesen Anzug noch reinpasse, dann ist alles in Butter. Wenn der Anzug spannt, ist die Zeit reif für Weight Watchers.“ fügte der Schauspieler erklärend hinzu. „Diese Methode der Gewichtskontrolle sollte jeder mal ausprobieren. Sie erspart einem, dass diese dämonisch leuchtenden Zahlen einem jedes Mal geradewegs in die Seele starren, wenn man sich wiegt.“ scherzte Paul. Es war der ernst gemeinte Versuch die Situation aufzulockern. Der Versuch Mélanie zumindest zum schmunzeln zu bringen, sie aufzuheitern. Gleichzeitig kamen Paul diese Worte längst nicht so beschwingt über die Lippen, wie es schön gewesen wäre. Er war dafür zu sehr mit diesen schönen, aber gerade auch ebenso traurigen Augen der Blondine beschäftigt. Seine eigenen Augen folgten ihr, als Mél sich setzte. Sie brauchte ihn jetzt! Das Geschäftsessen war gecancelt, das stand für den Schauspieler fest. Dann würde es heute anstatt eines Sterne-Menüs eben Sandwiches mit Erdnussbutter geben! Wie Paul schließlich erst gerade noch festgestellt hatte, war von der salzig-süßen Creme ja zum Glück mehr als genug im Haus!


RE: DEAR PRUDENCE - Melanie Laurent - 14.09.2020

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MÉLANIE LAURENT & PAUL RUDD # PAULS APARTMENT # 19. JUNI 2018 # FRÜHER ABEND


Vor über zwei Monaten, nach einer hässlichen Erkenntnis in einem wunderschönen Park, hatte Mélanie sich einer Mission verschrieben. Die Französin wollte die Situation nicht mehr so hinnehmen, wie sie war. Es musste sich etwas ändern, bevor es zu spät war, um noch etwas zu ändern. Mélanie liebte Ben und Ben liebte Mélanie. Das war doch schon einmal ein guter Anfang. Mélanie liebte es Zeit mit ihrem Mann zu verbringen. Ihr Mann liebte es Zeit mit seiner Arbeit zu verbringen. Da fing die Sache schon an zu bröckeln. Die kleine Familie lebte nun seit etwa einem Jahr in New York. Die ersten Monate war es vollkommen in Ordnung gewesen, dass Ben nur zum Schlafen nach Hause gekommen war. Es dauerte eben in einem neuen Job, bis man sich eingearbeitet hatte. Doch nach zwölf Monaten war Ben in seiner neuen Position ganz sicher routiniert, aber Zeit hatte er noch immer nicht mehr für seine Frau und seinen Sohn. Ein paar Mal, wenn Mélanie Léo als Argument benutzte, dann gab er sich etwas Mühe. Dann kam er ein paar Tage pünktlich nach Hause, um den Jungen ins Bett zu bringen und ihm etwas vorzulesen. Dann war es auf einmal möglich am Wochenende einen Ausflug zu machen. Aber immer genau dann, wenn Mélanie glaubte, dass Ben nun die Kurve gekratzt hatte, war plötzlich alles wieder wie vorher. Doch sie sollte ihren Mann nicht jede Woche daran erinnern müssen, dass er einen Sohn hatte. Vor fast zwei Monaten, ziemlich am Anfang von Mélanies neuer Mission, war ein Streit bezüglich Léo eskaliert. Denn um das Ziel ihrer Mission zu erreichen, hatte die Europäerin aufgehört klein bei zu geben und seine Versprechen, dass es bald leichter werden würde, nicht mehr ernst zu nehmen. Es war schwer gewesen, denn Ben hatte daraufhin eine Woche im Gästezimmer geschlafen, aber es hatte geholfen. Mél war stur geblieben und Ben hatte seine Schuld daran eingesehen. Inzwischen kam er mindestens dreimal in der Woche pünktlich nach Hause, um etwas Zeit mit Léo zu verbringen. Mélanie hatte die Schlacht gewonnen.

Aber noch nicht den Krieg, wie sie daraufhin sehr schnell herausgefunden hatte. Denn sie war der Meinung gewesen, dass es auch ihre Probleme als Paar lösen würde, wenn Ben endlich früher nach Hause kam. Immerhin war für Léo zwischen 7 und 8 Uhr abends Schlafenszeit. Danach wäre noch genug Zeit für das Paar gemeinsam Zeit zu verbringen. Doch kaum lag Léo im Bett, zog Ben sich ins Arbeitszimmer zurück. Die Blonde fragte fast jeden Abend, was nun noch so wichtig war, dass es nicht bis morgen früh warten konnte. Es wechselte sich ab zwischen E-Mails abarbeiten, Zeitpläne koordinieren oder was auch immer. ‚Es wird nicht lange dauern, Schatz‘. ‚Nur eine Stunde, dann können wir uns einen Film ansehen.‘. Mélanie konnte es schon nicht mehr hören, denn meistens ging sie zu Bett und Ben saß noch immer vor seinem Laptop. Es war toll, dass sich die Situation für ihren Sohn gebessert hatte. Léo hatte nun endlich wieder mehr von seinem Vater. Aber ihre Ehe blieb noch immer auf der Strecke. Mélanie war für ihren Ehemann eine Selbstverständlichkeit und das hatte sich in den letzten Wochen immer stärker herauskristallisiert. Oder hatte die Blonde es vorher, bevor Paul ihr (ohne es zu wissen) ihre Probleme aufgezeigt hatte, einfach nicht wahrhaben wollen? So oder so, es war ein trauriger Fakt. Sie hatte daher in letzter Zeit öfter das Gespräch mit ihrem Ehemann gesucht. Meist waren es kurze Gespräche gewesen, da Ben immer in Eile war. Aber er hatte zugehört. Er hatte zugehört, genickt und davon gesprochen, dass er ihren Standpunkt verstehen würde. Sie waren sogar dreimal ausgegangen. Das Paar hatte sich in Schale geworfen und war schön Essen gegangen. Diese Abende waren unglaublich toll gewesen und hatten Mélanie wieder darin bestärkt diese Beziehung zu retten. Doch es war schwer, wenn die Schauspielerin offensichtlich die einzige war, die bereit war sich Mühe zu geben. Letzte Woche hatte sie Ben gefragt, was er von einem Wochenende nur zu zweit halten würde. Wenn Léo bei Freunden schlafen würde und das Paar sich ein Wochenende in einem Wellnesshotel einnistete, um ein paar schöne Tage zu verbringen. Ihr Mann fand die Idee gut, doch momentan sei es einfach nicht möglich, ein wichtiges Projekt stand an. Aber vielleicht im Herbst. Agentin Mélanie – die sich ja nicht mehr abspeisen lassen wollte – hatte sich auch hier nicht mit der Antwort zufriedengegeben. Dann war es wieder ausgeartet. Ben warf ihr vor nicht zu wissen, was sie wollte. Auf der einen Seite war sie ihm ewig in den Ohren gelegen, damit er mehr Zeit mit Léo verbrachte, nun sollten sie ein Wochenende ohne ihren Sohn verreisen. Daraufhin hatte sie versucht ihm klarzumachen, dass sie zwar Eltern waren, aber als Paar trotzdem nicht auf der Strecke bleiben durften. Bens Argument dazu war, dass sie ja eh erst vor zwei Wochen Essen gewesen waren. An diesem Punkt hatte die hübsche Laurent dann diese Diskussion aufgegeben, denn sonst wäre sie explodiert. Ben verstand ihren Standpunkt nicht und sie würde ihm diesen wohl auch nicht klar machen können. Zumindest nicht alleine. Es musste Hilfe her. Ein paar Tage später war Léo nach der Schule ungeplant zu einem Freund gefahren und würde dort auch übernachten. Darin sah Mél ihre Chance. Sie gab ihren Mann nicht darüber Bescheid, denn dann würde er wieder erst mitten in der Nacht nach Hause kommen. Also kam Ben pünktlich nach Hause und er war sogar richtig gut drauf. Auch als Mél ihn darüber in Kenntnis setzte, dass Léo heute bei einem Freund schlafen würde und sie leider vergessen hatte ihren Mann darüber zu unterrichten, wirkte er nicht niedergeschlagen oder verärgert. Mél war zu diesem Zeitpunkt in der Küche gewesen und kochte. Ben bot sogar an zu helfen. Die 34-Jährige überlegte, während sie die Soße würzte. Konnte man so nebenbei erwähnen, dass man eine Eheberatung aufsuchen sollte? Warum eigentlich nicht? Das nahm diesem großen, beängstigenden Wort ‚Ehetherapie‘ etwas. Es klang bestimmt viel furchterregender, wenn man sich auf dem Tisch gegenübersaß. Wenn man ein Gespräch angekündigt hatte, aber doch beide schwiegen, weil man nicht wusste wie man anfange sollte, und es so still war, dass man das Ticken der Wanduhr hören konnte. Doch hier in der Küche, wo die Pastasauce brodelte, Ben Gemüse schnitt und Camila Cabello im Radio leise trällerte, dass ihr Herz in Havana war, war eine friedliche Umgebung. Friedliche Umgebung, friedliche Lösung? So hatte Mélanie es sich erhofft. Doch die Schauspielerin sollte sich furchtbar täuschen.

Eine halbe Stunde später war der Herd abgeschaltet, die fertigen Nudeln und die Sauce standen dort, bereit serviert zu werden. Im Radio wurde wieder einmal der amerikanische Präsident für einen seiner Tweets zerrissen. Ben setzte sich mit seinem Teller an den leeren Tisch. Mél hatte die Wohnung bereits verlassen und saß in einem Taxi. In einem Taxi Richtung Brooklyn. Warum sie dem Taxifahrer die Adresse von Paul genannt hatte? Weil er der Auslöser für das Ganze gewesen war. Weil Mélanie bereits einmal schon kurz davor gewesen war dem Älteren reinen Wein über ihr Eheleben einzuschenken. Und weil er der Einzige war, mit dem Mél in diesem Augenblick sprechen wollte. Als sie sich schlussendlich in der Wohnung des Älteren wiederfand, versuchte sie nicht ihre Verzweiflung zu verbergen. Die Französin würde es auch nicht hinbekommen. Sie fühlte sich so niedergeschlagen, da würde kein Schauspieltalent der Welt helfen. Noch immer versuchte sie das stattgefundene Gespräch zu verarbeiten, ihr fiel daher nicht einmal auf, dass Paul sich schick gemacht hatte. Sie schlüpfte aus ihren Schuhen und war einfach froh, dass der Amerikaner zufällig zu Hause gewesen war. Sie hätte nicht gewusst, wo sie sonst hin sollte. Erst als sie Paul ins Wohnzimmer folgte, fiel ihr der Anzug auf. Das war…komisch. Das zeigte die 34-jährige wohl auch mit ihrem Blick, denn Paul fing an sich zu erklären. Mehr oder weniger. Die Blonde setzte sich, während Paul seine spezielle Art der Gewichtsbestimmung erläuterte. Das war lieb gemeint, weshalb sich Mélanie zu einem Lächeln zwang. Es war schief und auch nur für einen flüchtigen Augenblick da, aber wenigstens war es da gewesen. „Gute Idee, aber Paul, bevor du jetzt bei den Weight Watchers anrufst, muss ich mit dir reden.“ Ihre Stimme klang ernst, da sie einen anderen Tonfall einfach nicht zustande brachte, aber ihre Worte waren als Scherz gemeint. Der Anzug passte natürlich wie angegossen. Sie fühlte sich für einen Moment in ihrer ausgewaschenen Jeans und ihrem schlichten Top sogar ziemlich underdressed, obwohl es gar keinen Anlass dafür gab. Eigentlich hätte ihr klar sein müssen, dass Paul in dieser Aufmachung steckte, weil er etwas vorhatte und Mélanie ihn davon abhielt. Doch einen so logischen Gedanken konnte ihr Gehirn in diesem Moment nicht zustande bringen. „Ich weiß einfach nicht, was ich noch versuchen soll.“ Mél schaffte es ja nicht einmal mit ihrer Geschichte von vorne anzufangen, um Paul ein klares Bild zu geben. Sie konnte spüren wie ihre Augen feucht wurden. Sie biss sich auf die Unterlippe und atmete einmal tief durch die Nase ein. Die Blondine war wütend, traurig und verletzt. Doch auch das war für sie kein Grund vor einer anderen Person zu weinen. Dafür würde es nie einen Grund geben. „Ich will nicht einfach so aufgeben. Ich will versuchen meine Ehe zu retten. So wie Julie und du es versucht habt. Also nur, naja, du weißt schon….“ Mit mehr Erfolg. Mélanie zuckte entschuldigend mit den Achseln. „Aber er hört einfach nicht zu. Ben hört einfach nicht zu.“ Ein lauter, wütender Ton entwich ihrer Kehle, während sie ihre Hände hinter ihrem Kopf verschränkte. „Er nimmt unsere Situation nicht ernst. Aber sie ist ernst.“, sprach Mélanie und sah Paul nun direkt an. Hatte sie sich zumindest halbwegs verständlich ausgedrückt? Sie seufzte und ließ ihre Hände wieder in ihren Schoß fallen.


RE: DEAR PRUDENCE - Paul Rudd - 19.09.2020

Plötzlich brach es alles aus Mélanie heraus. All die Wut und die Frustration der letzten Monate. Alles, was die Blondine heruntergeschluckt und was sich so in ihr angestaut hatte. Es war wie ein eigentlich massiver Damm, der nun jedoch mit einem Mal brach. Die Wassermassen ergossen sich dann über Paul, der von ihnen mitgerissen wurde. Der im ersten Moment nur noch Wasser sah und Wasser schluckte und der verzweifelt versuchte den Kopf über Wasser zu halten. Es war zunächst einfach alles etwas verdammt viel. Zum einen hatte es, aus der Sicht des Amerikaners, keine wirklichen Vorboten hierfür gegeben. Natürlich wusste er, dass Ben kein absoluter Vorzeige-Ehemann war. Méls Gatte arbeitete sehr viel und hatte folgerichtig eher wenig Zeit für seine Familie und seine Frau. Der Schauspieler musste unweigerlich an den Abend denken, an dem Mélanie und er gemeinsam Hamilton gesehen hatten. Ein wirklich wunderschöner Abend, der nur deshalb zustande gekommen war, weil ihr Mann die Französin versetzt hatte. Es war in der letzten Zeit also nicht unbedingt alles immer rosig im Hause Laurent gewesen. Das hatte Paul schon mitbekommen. Wirklich besorgt hatte ihn das jedoch nicht. Denn niemand führte tatsächlich eine Ehe wie aus dem Märchen. Außer man schloss bei der Bezeichnung "wie aus dem Märchen" auch jene Märchen-Paare mit ein, bei denen die neue Frau des Mannes dessen Kinder aus einer vorherigen Ehe auf brutale Weise aus dem Weg räumen wollte. In jeder Ehe gab es Phasen, in denen der Rosengarten eher einem Dornengestrüpp glich. Doch ein paar dunkle Wolken am Himmel machten noch kein Gewitter. Sie verdarben einem vielleicht den ein oder anderen sonst perfekten Sommertag, waren aber allgemein eher harmlos. Daher hatte der Amerikaner sich keinerlei Gedanken um Mélanies Ehe gemacht und war davon ausgegangen, dass diese – zumindest grundsätzlich – relativ glücklich war. Dass die Sachlage anscheinend eine ganz andere war, zog Paul den Teppich unter den Füßen weg. Das war also das Eine. Das Andere war die Art und Weise wie die Blondine ihre Geschichte erzählt hatte. Der Amerikaner machte der Kollegin keinen Vorwurf, doch sie hatte einfach so mit Sätzen um sich geworfen und Paul musste sich nun daraus zusammenreimen was geschehen war. Teilweise lag das ziemlich auf der Hand. Mél hatte gesagt, dass sie ihre Ehe retten wollte. Also war schon mal klar, dass die Situation ziemlich ernst war und die Blondine sich nicht nur über eine kleine Meinungsverschiedenheit oder etwas Ähnliches ärgerte, die morgen schon vergeben und vergessen sein würde. Sowas verstand Paul natürlich auf Anhieb. Manchmal kam der Schauspieler sich aber auch so vor, als müsste er mühsam eines dieser 3D Puzzles aufbauen. Und das ohne den Karton vor sich zu haben! Etwa wenn die Europäerin davon sprach, dass sie Pauls und Julies Beispiel folgen wollte, Ben aber nicht zuhörte. Bedeutete das dass Mélanie und Ben eine Therapie machten und Méls einstiger Göttergatte nicht auf die Ratschläge des Therapeuten hörte? Oder hörte Ben seiner Frau nicht zu und lehnte eine Therapie bereits im Vorfeld ab? Während Mélanie seufzend und wie ein Häufchen Elend auf der Couch saß, brummte Paul der Schädel.

Seine altbekannte Unsicherheit ergriff ein Mal mehr Besitzt von dem Amerikaner. Er wusste nicht, ob er die Blondine um weitere Erklärungen bitten sollte – oder eher doch nicht. Er wollte ja auch nicht, dass sie sich noch wie eine Gefangene bei einem Verhör fühlte. Und es war offensichtlich, dass die blonde Europäerin jetzt schon durch den Wind war. Unschlüssig schürzte Paul die Lippen, bis die Haut um diesen Bereich herum ganz weiß war. Schließlich setzte sich der Amerikaner erstmal neben Mél und legte ihr schweigend den Arm um die Schulter. Wenn er ganz ehrlich zu sich selber war, dann hatte der Amerikaner sich schon so manches Mal gedacht, dass es er Mélanie nicht nur als Mensch, sondern auch als Frau ... nett ... fand. Allein Gedanken wie diese trieben ihm dann immer die Schamesröte ins Gesicht. Eigentlich war ja nichts dabei eine schöne Frau attraktiv zu finden, doch Mél war eine platonische Freundin und noch dazu verheiratet, deshalb waren Paul solche Gedanken extrem unangenehm. Jedenfalls, in diesem Moment war seine Geste jedoch wirklich ganz unschuldig. Er war wie ein Kind, welches einen Schulkameraden tröstete, der sich vielleicht das Knie aufgeschlagen oder eine seltene Baseball-Sammelkarte verloren hatte und nun wie ein Schlosshund heulte. Mit vorsichtigen Bewegungen tätschelte Paul Mélanies Schulter.

„Ich glaube, ich muss mir erstmal Etwas zu trinken holen.“ meinte Paul dann, nach dem die Freunde eine ganze Weile schweigend so da gesessen hatten. Ohne, dass die Stille sich schwer angefühlt hatte. „Soll ich dir Etwas mitbringen? Angebracht wäre Gin, gesünder wäre aber Tonic Water oder – noch besser – Table Water.“ Er grinste eine lädierte Version seines normalen Grinsens. „Und ich muss kurz telefonieren.“ murmelte der Schauspieler und fuhr sich nervös mit der Hand durchs dunkle Haar. Der Schauspieler ließ Mél jetzt ungern allein, gerade wenn er es auch noch tun musste, damit er so etwas Banales erledigen konnte wie einen Anruf zu tätigen. Doch der Schauspieler musste das Abendessen nunmal absagen. „Aber ich bin gleich wieder da.“ versicherte Paul seiner Kollegin, schob ein schiefes Lächeln hinterher und ging in die Küche, wo er zwei Gläser mit Mineralwasser füllte und dann sein Handy zückte. Eigentlich machte es keinen Unterschied, ob er von hier aus beim Gastgeber der Party anrief oder ob er es vom Wohnzimmer aus getan hätte. Mélanie hätte das Gespräch unfreiwillig immer mitangehört beziehungsweise sie würde es mitanhören. Doch so kam es Paul irgendwie anständiger vor. Es wäre einfach komisch gewesen, neben der Französin zu sitzen und zu telefonieren. Es klingelte ein paar Mal und Paul betrachtete währenddessen eine Zeichnung, die Darby für ihn gemalt hatte und die von einem Magneten am Kühlschrank festgehalten wurde. Das etwas krakelige Bild zeigte eine organgerote Katze, die Paul sofort an den Cartoon-Kater Garfield denken ließ. Er fragte sich gerade, ob seine Tochter wohl wusste wer Garfield war, als die tiefe Bariton-Stimme des Gastgebers erklang. „Ihnen auch einen guten Abend.“ erwiderte Paul dessen Begrüßung höflich. Er redete nicht groß um den heißen Brei herum und erklärte dem – zum Glück sehr verständnisvollen – Mann, dass er dessen Feier heute leider doch fernbleiben würde. „Einer sehr guten Freundin von mir geht es nicht gut und ich muss jetzt einfach für sie da sein.“ erläuterte Paul mit fester Stimme und war ganz ehrlich. Es kam ihm gar nicht in den Sinn zu lügen oder fadenscheinige Ausreden hervorzupressen. Warum auch? Paul fand seine Prioritäten durchaus richtig. Genau wie der Gastgeber, wie sich dann herausstellte. „Sowas ist auch wirklich wesentlich wichtiger als ein Dinner.“ stimmte dieser nämlich zu und plötzlich war sein Südstaaten-Akzent sehr dominant. Paul, der vor dem Telefonat doch ein wenig nervös gewesen war, entspannte sich sofort. „So sehe ich das auch. Es ist viel wichtig als ein Dinner je sein könnte.“ pflichtete der Schauspieler dem Gastgeber bei und nickte, auch wenn der andere Mann ihn übers Telefon nicht sehen konnte. Der Gastgeber gab dem Schauspieler erneut Recht. „Es ist wirklich schade, dass sie heute nicht kommen können, Paul. Aber ich mag Ihre Prioritäten. Ein Mann, dem seine Freunde noch wichtiger sind als kostenloses Essen und freie Drinks, das ist ein Mann nach meinem Geschmack!“ Er unterstrich seine Worte mit einem bellenden Lachen. „Und dann eben beim nächsten Mal. Dann können Sie ihre Freundin auch gerne mitbringen. Ich hoffe doch, dass es ihr bis dahin wieder besser geht!“ Es wurden noch ein paar Floskeln ausgetauscht, dann verabschiedeten sich die Männer voneinander.

Nach dem Telefonat balancierte Paul die Gläser ins Wohnzimmer. Dort angekommen musterte er Mél und hatte schließlich den Eindruck, dass diese sich ein wenig beruhigt hatte. Er stellte die Getränke auf dem Couchtisch ab und setzte sich wieder neben die Blondine. „So. Und jetzt nochmal von Anfang an.“ Der Amerikaner schenkte ihr ein entschuldigendes Lächeln. Wie als wollte er sagen 'Manchmal bin ich etwas schwer von Begriff und man muss mir die Dinge mehrfach erklären, sorry.' Paul wollte eben nicht, dass Mél sich angegriffen fühlte, darum lud er die "Schuld" auf seine Schultern. „Es läuft also nicht gut zwischen Ben und dir.“ Der erste Schock war mittlerweile auch bei Paul selber abgeebbt und so langsam merkte er, wie sich neue Gefühle in ihm regten. Enttäuschung, die sich mit Mitleid mischte. Natürlich tat die aufgelöste Blondine ihm leid. Doch warum hatte Mélanie ihm nicht viel früher von ihren Problemen erzählt? Sie hätte doch wissen müssen, dass Paul immer ein offenes Ohr für sie gehabt hätte, wie er es doch jetzt doch auch hatte! Der Amerikaner drängte diese Empfindungen zurück, jetzt ging es darum für Mélanie da zu sein! „So viel habe ich verstanden. Und Ben hört nicht zu.“ So viel auch noch. „Aber du meintest, dass du versuchen willst deine Ehe so zu retten, wie Julie und ich es probiert haben. Heißt das, dass ihr eine Therapie macht? Und Ben macht bei der Therapie nicht richtig mit? Oder will er gar keine machen?“ fragte Paul und streckte die Hand nach seinem Wasserglas aus. Pauls Blicke waren sanft und freundlich. 'Ich bin für dich da' sagten seine Augen und 'Was auch immer los ist, ich höre dir zu und werde versuchen dir zu helfen, so gut ich nur kann.' Die Miene des Amerikaners hatte sich aber gleichzeitig auch verdunkelt. Letztlich wären nämlich wohl beide möglichen Verhaltensweisen von Ben ziemlich schlimm. Der Schauspieler war kein Psychologe oder Therapeut, doch er war sich ziemlich sicher, dass beide Parteien für und bei so einer Therapie zumindest grundsätzlich offen für die Therapie sein mussten, wenn die Sitzungen auch Etwas bringen sollten.


RE: DEAR PRUDENCE - Melanie Laurent - 22.01.2021

Mélanie war noch dabei das Gespräch von vorhin mit Ben zu verdauen. Sie hatte mit Widerstand gerechnet, keine Frage, aber das was Ben abgezogen hatte, hatte die Blonde dann doch sehr überrascht. So saß sie nun auf der Couch von Paul, unfähig einen klaren Gedanken zu fassen und deutliche Worte zu finden. In dieser Trance bemerkte die Französin erst, dass der Schauspieler sich neben sie gesetzt hatte, als sie seinen Arm um ihre Schulter spürte. Für einen Augenblick schenkte sie dem Älteren ein schwaches, aber dankbares Lächeln, ehe sie ihren Kopf auf seine Schulter legte. Mél war so wütend auf ihren Ehemann, ihr Herz raste noch immer. Die Schauspielerin schloss ihre Augen und atmete einige Mal tief durch. Die 34-jährige musste sich beruhigen und tatsächlich ging es ihr von Minute zu Minute ein Stück weit besser. Es war faszinierend, was die Nähe und tröstendes Tätscheln eines guten Freundes bewirken konnte. Genau das war Paul im letzten Jahr geworden. Ein guter Freund. Ein sehr guter sogar, wie sich im nächsten Moment zeigen sollte. „Ein Wasser wäre toll, vielen Dank.“, sprach die Blondine und hob ihren Kopf wieder. Der Amerikaner war kurz darauf in der Küche verschwunden, um Wasser zu holen und zu telefonieren. Mélanie konnte ihre Laune für einen Augenblick selbst aufhellen, als sie zu überlegen begann, wen Paul jetzt wohl so dringend anrufen musste. Die hübsche Laurent stellte sich vor, wie Paul panisch Mark anrief und ihm erzählte, dass eine aufgelöste Mél bei ihm saß und er nicht wusste, was er mit ihr anstellen sollte. Die Europäerin konnte sich gut vorstellen, was Mark seinem Freund für Ratschläge geben würde, und musste tatsächlich leise lachen. Dabei wusste sie, dass Paul sich keinen Rat von Mark holen würde, denn Paul war für die Rolle des Trösters bestens geeignet. Er war aufmerksam, einfühlend, fürsorglich und…Die Blonde wurde aus ihrer gedanklichen Lobeshymne über Paul, die vermutlich kein Ende gekannt hätte, gerissen, als sie aus dem Nebenraum die Stimme des Älteren vernahm. Die Blonde überlegte einen Moment, ob sie etwas tun konnte, um Paul mehr Privatsphäre bei seinem Telefonat zu geben. Sie sah sich um. Sollte sie ins Bad gehen? Fragend zog sie ihre Augenbrauen zusammen. Die Enemy-Darstellerin sagte sich, dass Paul sich schon ein ruhigeres Plätzchen gesucht hätte, wenn sein Telefonat zu privat gewesen wäre. Also blieb sie ruhig sitzen und im nächsten Moment wurde bereits klar, dass es bei dem Telefonat um sie ging. Die Augen der Blonden wurden groß. Natürlich! Der Anzug. Sie fasste sich auf die Stirn und konnte über sich selbst nur den Kopf schütteln. Paul würde nicht zum Spaß mit einem Anzug durch seine Wohnung laufen, er hatte eine Verabredung. Doch diese sagte er für seine Freundin ab, als wäre es das Selbstverständlichste der Welt. „So sehe ich das auch. Es ist viel wichtig als ein Dinner je sein könnte.“ Mélanie schluckte schwer. Wenn „nur“ ein Freund so für sie handelte, warum war dann ihr Ehemann nicht dazu imstande? Der einzige Mann, der sich vor Gott dazu verpflichtet hatte für Mél da zu sein, in guten wie in schlechten Zeiten. Die Blonde wusste inzwischen, dass es gefährlich war Paul als Maßstab zu nehmen. Der Schauspieler war das Abbild eines perfekten Mannes, es wäre nicht gesund für Mélanies Ansprüche an Ben, wenn sie Vergleiche zu Paul ziehen würde. Dennoch stimmte hier etwas gewaltig nicht, wenn Paul alles stehen und liegen ließ, um für die Französin da zu sein und Ben sich nicht einmal ein Wochenende von der Arbeit frei nehmen wollte. Einige Ansprüche sollte sie durchaus an ihren Angetrauten, für den Sie ihre Heimat hinter sich gelassen hatte, stellen können.
Als Paul mit den Getränken wieder zurück ins Wohnzimmer kam, wartete Mélanie ab. Sie wollte nicht drauflos plappern, um ihm zu sagen, dass er seine Verabredung für sie nicht absagen hätte müssen. Immerhin war er für das Telefonat in die Küche gegangen und auch wenn er seine eigene Wohnung wohl gut genug kannte, um beurteilen zu können, wie weit man ein Gespräch hören könnte, wollte die Schauspielerin nicht wie eine Lauscherin rüberkommen. Die 34-Jährige war schließlich der Meinung, dass sie sich diesbezüglich auch gar nicht outen musste, sondern Paul ihr den Grund für sein Telefonat mitteilen würde. Doch so war es nicht. Er begann gleich damit, dass er ihre Geschichte von Anfang an hören wollte. Ein kleines Schmunzeln legte sich auf die Lippen der Schönheit. Eigentlich hätte es ihr klar sein müssen. Paul war keiner jener Ritter in strahlender Rüstung, die sie auffällig zur Schau stellten, um Ruhm zu ernten. Der Amerikaner versteckte sie unter seinem schicken Sakko und hinter Weight Watchers-Witzen.

„Es läuft also nicht gut zwischen Ben und dir.“ Mélanie war überrascht, welche Wirkung diese Worte aus dem Mund eines anderen auf sie hatten. Sie trafen die Blonde mit einer Wucht, auf die sie nicht vorbereitet war. Ihr Mund wurde staubtrocken und ihre Hände begannen leicht zu zittern. Sie griff nach dem Wasserglas auf dem Tisch und nahm einen großen Schluck. Sie stellte das Glas nicht wieder auf den Tisch zurück, sondern auf ihren Oberschenkel ab und hielt es fest. Mél spürte, wie das Glas sich durch ihre zittrige Hand auf ihrem Schenkel leicht hin und her bewegte. Bisher wussten nur Ben und Mélanie um die Probleme in ihrer Ehe, wobei man Ben auch nicht ganz zählen konnte. Der Techniker verschloss sich weiterhin davor. Dennoch hatten diese Probleme ihre eigenen vier Wände noch nie verlassen. Aber nun hatte Mél sie über diese Grenzen getragen und das Problem von Paul laut ausgesprochen zu hören, machte es nur noch realer. Es nahm der Blonden die Möglichkeit den Umstand zu ignorieren. So wie sie es die letzten Monate ignoriert hatte und nicht wahrhaben wollte. Diese Chance bestand jetzt nicht mehr, denn es gab nun jemanden der Bescheid wusste. Jemand, der sich in Zukunft erkundigen würde. Es gab nun keinen Rückzieher mehr und das machte die Französin nervös. Sie konnte nun nicht mehr so tun, als wäre alles in Ordnung. Während Paul weitersprach, nahm sie noch einen Schluck von dem Wasser. Sie hatte keinen Durst, aber ihre Kehle fühlte sich zu trocken zum reden an. Mél stellte das Glas wieder auf ihrem Oberschenkel ab, dann begann sie zu erklären. Diesmal nicht mehr so in Rätseln. „Er will gar keine machen.“, antwortete sie auf seine Frage. „Wobei… eigentlich ist es schlimmer. Er hat diesen Vorschlag für einen Scherz gehalten. Ich habe all meinen Mut zusammengenommen, um das Thema anzusprechen und er hat gelacht. Ich kann dir gar nicht sagen, wie enttäuscht ich bin.“ Sie schüttelte den Kopf und ein lautes Seufzen entwich ihrer Kehle. „Ich kann mir wirklich nicht erklären, warum Ben unsere Probleme nicht sehen kann oder warum sie für ihn keine Probleme sind. Er meint ständig, dass ich übertreiben würde.“ Was war daran übertrieben Zeit mit seinem Partner verbringen zu wollen und ihn nicht ständig mit der Arbeit teilen zu müssen? Aber Ben konnte oder wollte das einfach nicht sehen. Warum auch immer. „Ich habe in den letzten Monaten so viel versucht und entweder ist es auf taube Ohren gestoßen oder hat zu Streitereien geführt. Ich weiß einfach nicht mehr, was ich noch versuchen soll.“, sprach die 34-Jährige verzweifelt. „Ich habe mir die Therapie als letzten Zug aufgehoben, aber was soll ich nur tun, wenn er keine machen will?“ Resignierend ließ sie sich gegen die Lehne der Couch fallen und nahm noch einen Schluck Wasser. Dann sah sie zu Paul, wie er da saß in seinem Anzug und an ihren Lippen hing, gewillt ihr die bestmögliche Stütze zu sein. „Wieso kann er nicht…“ Die hübsche Laurent hielt inne. Wieso konnte Ben nicht mehr so sein wie Paul. Ein Gedanke, für den sie sich sofort schämte und daher auch nicht fertig aussprach. Und ihn auch schnell vertreiben wollte, weshalb sie den Moment nutzte, um sich für ihr Timing zu entschuldigen. „Paul, es tut mir leid, dass ich so unhöflich war. Der Anzug…“ Sie deutete an dem Älteren hinab. „Ich hätte merken müssen, dass ich dich von etwas abhalte. Du hättest wirklich nichts absagen müssen. Ich hätte es verstanden, wenn du keine Zeit hast. Immerhin bin ich unangekündigt vorbeigekommen.“, wollte die Blonde klarstellen. Sie war keine dieser Zicken, die sofort sauer war, wenn nicht immer und jederzeit Zeit für sie war.


RE: DEAR PRUDENCE - Paul Rudd - 24.01.2021

Mélanie erzählte von ihrem Mann und von ihrer Ehe. Sie berichtete von Bens Reaktion, als die Französin eine Therapie vorgeschlagen hatte. Davon, dass er nur gelacht hatte. Die französische Schauspielerin war ehrlich, auch im Bezug auf ihre Verzweiflung. Die Blondine wusste nicht mehr weiter, war mit ihrem Latein am Ende. Ben lehnte die Therapie ab – was nun? Glaubte man dem Ehemann der Europäerin, dann übertrieb Mélanie einfach nur und stellte die Situation finsterer dar, als sie eigentlich war. Paul hörte sich das alles an. Er unterbrach Mélanie nicht ein einziges Mal. Fiel ihr nie ins Wort. Nicht einmal um Fragen zu stellen. Nach Außen hin blieb der Amerikaner ganz ruhig. Er schwieg und sah die Blondine einfach nur mitfühlend an. Gelegentlich nickte er. Innerlich brodelte es jedoch in dem Schauspieler. Es tat ihm weh, Mélanie so zu sehen. Die Blondine war sonst eine so starke und unabhängige Frau. Sie war geradeheraus und ehrlich. Gab nicht immer vor das nette Mädchen von nebenan zu sein und versprühte keinen falschen und klebrigen Charme. Sie war authentisch. Und diese wundervolle Person saß jetzt neben Paul und war ein Schatten ihrer selbst. Seufzend und deprimiert hockte sie auf der Couch und berichtete von ihrer kriselnden Ehe. Die sonst so groß(artige) Frau war jetzt so klein. Der Anblick war ... Falsch! So sollte das einfach nicht sein! Und warum war es so? Weil Ben so ein sturer Idiot war! Weil Mélanies Ehemann der Therapie nicht zumindest eine Chance geben geben konnte! Ein wenig schämte Paul sich für solche Gedanken. Er war nicht jähzornig. Ihm platzte nicht schnell die Hutschnur. Es war eigentlich absolut nicht Pauls Art auf jemanden wütend zu sein, den er kaum kannte. Auf jemanden wütend zu sein, dessen Motive er nicht kannte. Der sonst so besonnene Paul hätte zumindest die Frage nach dem 'Warum' gestellt. Warum lehnte Ben die Therapie ab? Hatte er Gründe? Waren diese vielleicht nachvollziehbar? Hatte er vielleicht schon negative Erfahrung mit einer solchen Therapie gemacht? Normalerweise hätte Paul sich solche Fragen gestellt. Aber wenn der Amerikaner sich Mélanie nun so ansah, dann war da einfach kein Platz für diese Überlegungen. Da war nur Platz für ... Nun ... Sie. Für die Blondine. Seufzend griff der Amerikanerin nach seinem Glas. Er trank einen Schluck und musterte Mélanie über den Rand des Glases hinweg. Sie wirke bleich und kränklich. Blonde Strähnen hingen kraftlos in ihrer Stirn. Paul hätte der Französin so gerne geholfen. Er hätte gerne irgendwas Schlagfertiges gesagt. Vor seinem geistigen Auge sah der Schauspieler wie er irgendeinen total geistreichen Kommentar von sich gab und wie die Kollegen dann zusammen lachten und Ben vergaßen. In der Theorie, in irgendeinem Tagtraum, konnte Paul das tun. Schlagfertig sein. Da war er so flapsig wie ein RDJ vielleicht flapsig sein konnte. Endlos cool und souverän. Ohne Rücksicht auf Verluste. In der Praxis war der Schauspieler dafür zu schüchtern und zu unsicher. Der Amerikaner konnte Witze reißen, oh ja! Natürlich, darin war er praktisch unschlagbar. Doch Paul wollte nichts Falsches sagen. Er wollte die Situation ja auch nicht noch schlimmer machen. Der Gedanke, dass genau das passieren könnte, dieser Gedanke hemmt ihn ungemein. Und so schwieg der Amerikaner weiter und er hörte Mélanie weiter zu. Und er hing weiter den Tagträumen nach, in denen er mehr tun konnte als schweigen und zuhören.

Bis Mélanie den Schauspieler aus eben diesen riss. „Ich hätte merken müssen, dass ich dich von etwas abhalte. Du hättest wirklich nichts absagen müssen. Ich hätte es verstanden, wenn du keine Zeit hast. Immerhin bin ich unangekündigt vorbeigekommen.” Paul schüttelte sofort den Kopf. „Nein!” meinte er entschlossen. „Oh nein, nein, nein! Du hältst mich von nichts ab!“ Wie um seine Worte zu unterstreichen, legte er seine Hand auf die Schulter der Französin. „Ich war zu einem Essen eingeladen, aber dort verpasse ich nur schlechte Anekdoten und noch schlechteres Fingerfood. Also vergiss das einfach! Das ist nicht wichtig! Du bist wichtig!” Paul öffnete nun mit raschen Bewegungen den Knoten seiner Krawatte. Er warf sie achtlos neben sich auf die Couch. Dann zog der Amerikaner auch das Sakko des Anzugs aus und hängte es über die Lehne des Sofas. Jetzt sah Paul nicht mehr ganz so sehr wie einer dieser Oberdeck-Schnösel aus, die sich in Titanic über den armen Jack Dawson lustig machten. Vielleicht würde das Mél helfen das Abendessen zu vergessen. „Du bist nicht unhöflich!“ stellte er klar. Er fixierte die Blondine nun mit seinen Blicken. „Du bist jemand, der jemanden zum reden braucht. So wie wir alle manchmal.” Paul holte tief Luft. Seine Brust hob und sengte sich. Er sah die Französin weiter an. „Komm mal her.” Der Amerikaner zog seine Kollegin in eine Umarmung. Die Frau in seinen Armen fühle sich weich und warm an. Sie roch nach einer Mischung aus Kaffee und nach dem New Yorker Somerregen. Paul schloss kurz die Augen und atmete diesen Duft tief ein. Er strich Mélanie sanft über den Rücken. Schließlich löste der Amerikaner sich wieder von der Blondine. Einen Moment lang betrachtete er sie schweigend. Eine blonde Haarsträhne fiel ihr schier ins Auge und für den Bruchteil einer Sekunde überlegte der Schauspieler, ob er diese widerspenstige Strähne aus Méls Stirn streichen sollte. Doch natürlich tat er es nicht. Er schämte sich sofort für den Gedanken. Der war ihm ... Naja ... Einfach so gekommen. Aber natürlich war er eigenartig und falsch! Manche Gesten waren einfach zu intim für zwei normale Freunde. Paul räusperte sich. Zeit für einen Themawechsel!

„Also ... Wegen Ben.” begann er. „Ich meine ... Ich denke ... Du willst doch vielleicht meinen Rat hören oder meine Gedanken.” Der Amerikaner merkte wie die alte Unsicherheit an ihm zu nagen begann. „Es ist jetzt kein total professioneller Rat. Mein Fachgebiet sind Furz-Witze, nicht Beziehungen, deshalb ist der Rat eher semi-professionell.” Paul lachte etwas zittrig auf. „Was ich nicht verstehe ... Also jede Beziehung ist natürlich anders und ich kenne Ben so gut wie gar nicht.“ räumte er ein. „Aber weißt du, meine Ehe ist gescheitert und dennoch ... Ich kann Julie heute in die Augen sehen und sie mir und wir wissen, dass wir alles für diese Beziehung getan haben. Wir können uns echt viel vorwerfen. Viele Fehler, Kleinigkeiten und Groß-igkeiten. Alles. Aber wir können uns nicht vorwerfen, dass wir nicht wirklich alles getan haben, um diese Ehe zu retten. Wir sind zu all den Sitzungen gegangen und haben immer brav unsere Hausaufgaben gemacht. Egal wie unangenehm und ja, auch schmerzhaft das manchmal war.” berichtete er. „Ich sage dir das jetzt nicht, weil ich dir damit zeigen will wie toll wir sind. Im Gegenteil. Julie und ich sind auch nicht anders als andere Menschen. Genauso verkorkst wie alle andere auch.“ Ein weiteres nervöses Lachen. „Ich denke, dass das die normale Reaktion ist. Oder sein sollte. Dass man für die Ehe oder eben für die Beziehung kämpft. Man weiß es doch eigentlich, wenn man Beziehungsprobleme hat. Vielleicht will man es nicht wahrhaben, aber man weiß es doch. Und dann kämpft man, weil es einfach richtig ist zu kämpfen. Weil die Beziehung einem viel bedeutet, auch wenn man vielleicht keine rosarote Brille mehr trägt. Und vielleicht trennt man sich am Ende trotzdem, aber dieser Impuls zu kämpfen ist doch erstmal vorhanden. Zumindest wenn die Beziehung einem wirklich wichtig ist. Ich glaube, dass dieser Impuls immer da ist. Dieser Wille zu kämpfen.” Er deutete ein Nicken an. Das war Pauls Überzeugung. „Nun hat Ben so eine tolle Frau und sie spricht ihn direkt auf die Probleme an. Warum reagiert er nicht? Warum kämpft er nicht? Warum riskiert er es eine Frau wie dich zu verlieren? Warum ist er so dumm? Das verstehe ich nicht. Sieht er das Problem wirklich nicht? Oder will er es nicht sehen?” fragte der Schauspieler in den Raum hinein. „An deiner Stelle würde ich mich das fragen. Beziehungsweise, ich würde Ben diese Fragen stellen. Ich würde ihm klar machen, wie ernst die Situation ist. Das hat er anscheinend noch nicht begriffen. Oder er will es noch nicht einsehen. Rede nochmal mit ihm. Wenn er kein totaler Vollidiot ist, dann wird auch er kämpfen. Kein Mensch würde eine Frau wie dich einfach kampflos aufgeben!” versicherte Paul der Französin. Ein aufmunterndes Lächeln umspielte seine Lippen. Ben würde ganz sicher um Mélanie kämpfen. Wer würde das bei so einer Frau nicht tun?


RE: DEAR PRUDENCE - Melanie Laurent - 21.04.2021

Pauls Entschlossenheit rührte die Blondine. Wie oft hörte man von jemanden ‚Oh nein, du störst gar nicht‘, während man genau wusste, dass man im Moment nicht erwünscht war und diese Person lieber wo anders wäre. Sehr oft. Doch bei Paul war das nicht nur eine höfliche, aber unwahre Aussage, sondern es war offensichtlich, dass er es ernst meinte. Der Ältere war lieber hier mit ihr und versuchte ihr zu helfen, als bei seiner eigentlichen Abendveranstaltung zu sein. Paul war wirklich ein wahrer Freund und bestätigte Mél in ihrer Entscheidung, dass sie nach dem Fiasko bei ihr zu Hause ausgerechnet vor der Tür des Amerikaners gestanden hatte. Hier war sie am besten aufgehoben. Der Ansatz eines Schmunzelns umspielte ihre Lippen, als Paul sich seiner Krawatte und seines Sakkos entledigte, um zu unterstreichen, wie unwichtig dieses Essen war. Sogar ein kleiner Scherz lag ihr auf den Lippen, aber sie war zu deprimiert und kraftlos, um ihn auszusprechen. Es fühlte sich einfach nicht richtig an. Gar nichts fühlte sich im Moment richtig an. Zumindest glaubte die Blondine das bis zu dem Augenblick, in dem der Schauspieler sie in eine tröstende Umarmung zog. Sie legte ihre Arme um ihn und ihren Kopf auf seine Schulter. Das Gefühl seiner Finger, die über ihren Rücken strichen, hinterließen ein angenehmes Kribbeln. Sie fühlte sich bei Paul so geborgen und sicher wie schon eine lange Zeit nicht mehr. Doch so sollte es bei einer verheirateten Frau nicht sein. Eine verheiratete Frau konnte sich durchaus bei einem anderen Mann gut aufgehoben und sicher fühlen. Freundschaftlich. So wie eben jetzt mit Paul. Aber sie sollte sich nicht ausschließlich bei einem Freund so fühlen, sondern auch in ihrer Liebesbeziehung. Aber davon waren Ben und Mélanie gerade sehr weit entfernt. Sie wusste im Moment nicht einmal, wann er sie das letzte Mal einfach so in den Arm genommen und gehalten hatte. Es fühlte sich jedenfalls wie eine Ewigkeit an und wenn sie so darüber nachdachte, dann wollte sie das momentan nicht einmal. Dafür war sie viel zu wütend auf den Franzosen. Aber diese Umarmung hier ließ Mélanies graue Welt tatsächlich wieder etwas bunter erscheinen. So konnte sie dem Schauspieler sogar ein dankbares Lächeln schenken, als er sich wieder von ihr löste. Für einen Moment sahen die Freunde sich schweigend an, was oft eine unangenehme Situation war, aber nicht mit Paul. Vielmehr fühlte es sich wie das normalste der Welt an. Für einen Moment konnte die Französin sogar ihre Sorgen mit Ben vergessen. Zumindest bis Paul sich räusperte und das Thema wieder aufgriff.

Mit einem Nicken bestätigte sie dem Älteren, dass sie seinen Rat nur zu gerne hören würde. Sie wusste, dass Paul solche Situationen nicht mochte und aus welchem Grunde auch immer mit Unsicherheiten zu kämpfen hatte. Manchmal hatte die Blondine das Gefühl, dass Paul sehr darauf bedacht war nichts Falsches zu sagen. Klar, niemand wollte in Fettnäpfchen treten und jemanden unbeabsichtigt verletzen, aber Paul war da noch einmal ein ganz anderer Kandidat. Er sprühte eigentlich nur so vor Charme und Witz, doch wenn es um ein ernstes Thema ging, dann fasste er Mélanie mit Samthandschuhen an, so als würde sie allein an einem einzelnen Wort zerbrechen können. Manchmal würde sie gerne als eine Frau, die ihre Gedanken schon immer frei aussprach und ihre ehrliche Meinung selten für sich behielt, den Älteren rütteln und ihm sagen, dass er doch sagen sollte, was er wollte. Das sie es aushielt, egal was er ihr zu sagen hatte. Mél selbst nahm kaum ein Blatt vor den Mund, also musste er es bei ihr auch nicht tun. Sie war nicht so zart besaitet wie Paul wohl zu glauben schien. In Momenten wie diesen, wo er stotterte und sich hinter einem Witz versteckte, da würde sie gerne rütteln. Aber dann sprach der talentierte Amerikaner weiter. Mélanie lauschte schweigend und nahm ab und an einen Schluck von ihrem Wasser. Ihre Hand zitterte inzwischen nicht mehr, die 34-Jährige fokussierte sich voll und ganz auf Paul und seine Stimme. Sie war froh, dass Paul die Lage ähnlich sah wie die Europäerin. Das bestätigte sie darin, dass sie nicht überreagierte und sie diesen Kampf zurecht führte. Auch wenn man Paul und Julie nicht als Vorzeigebeispiel nehmen konnte, da sie immerhin trotz aller Mühen geschieden worden waren, so verspürte die Blondine dennoch einen gewissen Neid auf das ehemalige Paar. Sie hatten alles versucht um ihre Beziehung zu retten und Paul hatte sich bestimmt nicht lange bitten lassen, wenn Julie einen Vorschlag zum Erreichen dieses Ziels gemacht hatte. Sie hatten für ihre Ehe gekämpft und auch wenn sie diesen Krieg verloren hatten, sie konnten sich nichts vorwerfen. Mél kämpfte auch für ihre Ehe, was sich jedoch von Tag zu Tag als schwieriger erwies. Aber sie handelte richtig, weil sie Ben liebte und ihre Beziehung retten wollte. Und so stellte Paul eine wirklich berechtigte Frage: Warum tat Ben das nicht? Warum war er nicht gewillt um das zu kämpfen, was sie hatten? Wieso verschloss er sich so vor ihren Problemen? Das sollte Mélanie herausfinden, auch wenn sie jetzt schon wusste, dass Ben wieder nur abblocken würde.

Allein die Vorstellung an das Gespräch reichte aus, um die Schönheit zu entmutigen. Dennoch zwang sie sich bei Pauls aufmunternden Lächeln dazu ihre Lippen selbst für einen kurzen Augenblick zu einem Lächeln zu verziehen. Dann wanderte ihr trauriger Blick wieder zu dem Wasserglas in ihrer Hand. „Nochmal mit ihm reden…ja…“, wiederholte sie Pauls Vorschlag und nickte langsam. „Es wird mir nichts anderes übrigbleiben, obwohl ich schon seit Monaten nur rede, rede, rede. Aber ich bin des Redens müde, Paul. Diese ständigen Streitereien, die dazu führen, dass Ben tagelang im Gästezimmer schläft und schlussendlich dann trotzdem nur zu einer kurzzeitigen Änderung führen, sobald er versteht, was er falsch macht.“, gab die 34-Jährige zu. Sie wollte nicht aufgeben, aber sie konnte die Erschöpfung nicht mehr ignorieren. Nicht nach diesem immensen Rückschlag an diesem Abend. „Ich will Ben nicht nur schlecht reden. Einige Dinge hat er schon geändert…für Léo. Inzwischen kommt er ein paar Mal die Woche früher nach Hause um Léo vorzulesen und ihn ins Bett zu bringen. Ich dachte damit würde es auch für uns besser werden, da der Junge früh schlafen geht und dann hätten wir wieder einmal Zeit für uns als Paar. Aber kaum liegt Léo im Bett verkriecht er sich den restlichen Abend ins Arbeitszimmer.“, erklärte die hübsche Laurent weiter. „Ich will nicht undankbar klingen, ich bin froh, dass Léo nun endlich wieder mehr von seinem Vater hat und wir inzwischen auch wieder Wochenendausflüge als Familie machen. Aber es muss auch mal wieder nur um uns gehen. Um uns als Ehepartner und nicht als Eltern. Aber Ben versteht mich nicht und schafft es sogar, dass ich mich schuldig fühle, nur weil ich ihn vermisse und Zeit mit ihm verbringen will. Als wäre das verwerflich oder zu viel verlangt.“ Sie seufzte und sah wieder hoch zu Paul. Mél machte sich nicht mehr die Mühe ihre Verzweiflung zu verstecken, sie wusste nicht mehr weiter.


RE: DEAR PRUDENCE - Paul Rudd - 25.04.2021

Kein Mensch würde eine Frau wie dich einfach kampflos aufgeben! Das hatte Paul zu Mélanie gesagt und es auch wirklich so gemeint. Doch wenn er sich jetzt anhörte, was die Blondine so alles über Ben erzählte ... Über Ben und sein fehlendes Interesse an Mélanie ... Dann kamen dem Amerikaner doch so seine Zweifel an seiner eigenen Aussage von gerade eben. Es sollte per Gesetz verboten sein Mél so zu behandeln, doch wie es aussah, hatte der Franzose seine Frau (und seine Ehe) kampflos aufgegeben. Oder der Europäer war zumindest dabei genau das zu tun. Ein dunkler Schatten huschte über das Gesicht des Amerikaners. Paul legte die Stirn in Falten und sah Mélanie aus besorgten Augen an. Der Schauspieler kannte Ben nicht besonders gut. Das hatte der Amerikaner ja gerade selber noch zugegeben. Vielleicht schätze der Schauspieler das Verhalten von Mélanies Ehemann gerade also völlig falsch ein. Überhaupt, wer war er – Paul – denn schon um diesen fremden Mann beurteilen zu können? Paul konnte nicht in Bens Schädel gucken oder Gedanken lesen. Er wusste nicht warum der Franzose so abweisend zu seiner Frau war. Vielleicht hatte er einen guten Grund. Eventuell war da Irgendwas, von dem selbst Mél noch nichts wusste. Hey, vielleicht plante Ben gerade auch eine super tolle Überraschung für seine Frau und seine angeblich kalte Schulter war nur der Europäer wie er total eingespannt war, um die perfekte Überraschung auf die Beine zu stellen. Was wusste Paul schon was in Bens Kopf vorging? Der Amerikaner hatte eigentlich kein Recht sich da eine Meinung zu erlauben. Gedanken wie diese schwirrten durch Pauls Kopf. Der Amerikaner erinnerte sich so kontinuierlich daran, dass Ben ihm praktisch fremd war und dass ein Urteil über ihn dem Schauspieler nicht zustand. Und ganz sachlich und logisch betrachtet stimmte das alles ja auch. Und doch ...

Aber es muss auch mal wieder nur um uns gehen. Um uns als Ehepartner und nicht als Eltern. Aber Ben versteht mich nicht und schafft es sogar, dass ich mich schuldig fühle, nur weil ich ihn vermisse und Zeit mit ihm verbringen will. Als wäre das verwerflich oder zu viel verlangt ... Aussagen wie diese ... Paul schluckte schwer ... Nun ... klangen einfach doch ziemlich danach als hätte Ben wirklich kein richtiges Interesse an der Ehe mit Mélanie mehr. Paul konnte sich gut daran erinnern wie es bei Julie und ihm gewesen war, als sich das 'Wir' langsam in ein 'Du und ich' verwandelt hatte. Der Schauspieler hatte sich mit Händen und Füßen gegen den Gedanken gewährt, dass seine Frau in seinen Augen mehr und mehr zu 'einer guten Freundin' geworden war. Denn diese neue Sichtweise auf seine Frau hatte ihre Ehe gefährdet und damit auch ihren Alltag und den Alltag ihrer Kinder. Und Paul war sicher nicht der einzige Ehemann und Vater auf der Welt, der schon mal in so einer Situation gewesen war und in einer solchen Situation so empfunden hatte. Im Gegenteil. War das nicht normal? Wenn in einer Ehe aus dem 'Wir' ein 'Du und ich' wurde, dann war es höchste Zeit, um an der Beziehung zu arbeiten. Wenn die Ehe ein Tongefäß war, dann war die langsame Verwandlung vom 'Wir' in ein 'Du und ich' ein hässlicher Riss. Ein Riss allein zerstörte das Gefäß noch nicht. Ein einziger Riss – und sei er noch so unästhetisch – war nicht mit einem Scherbenhaufen gleichzusetzen. Doch er erinnerte den Besitzer des Gefäßes daran, dass er in Zukunft aufpassen musste. Kein Baseball mehr im Wohnzimmer! Weitere Risse sollten wirklich vermieden werden. Paul und Julie waren also zur Paartherapie gegangen und sie wären zu Fuß von Brooklyn bis nach Baton Rouge gelaufen, wenn das ihrer Ehe irgendwie geholfen hätte. Bis zum Mond wären sie gemeinsam gereist! Alles, wirklich alles, hätten sie getan um ihre Ehe zu retten. Sie hatten den Riss in der Ehe gesehen und alles Menschenmögliche getan, um den Beziehungs-Scherbenhaufen zu vermeiden. So wie es wohl die meisten Paare in ihrer Situation getan hätten. So wie auch Mélanie an ihrer Ehe arbeiten wollte. Nur Ben zeigte keinerlei Interesse daran an der Beziehung zu arbeiten. Und das obwohl der Franzose, laut Mél, durchaus fleißig an seiner Vater-Sohn-Beziehung mit Leo arbeitete. Faul war der Gatte der Blondine also nicht. Zumindest nicht grundsätzlich. Doch Mélanie hatte oft genug mit ihrem Mann gesprochen und dennoch zeigte Ben der Europäerin die kalte Schulter, wie es aussah. Er sah den Riss im Tongefäß und spielte trotzdem munter weiter Baseball. Also, ja, vielleicht kannte Paul Ben kaum. Doch eventuell musste er Mélanies Ehemann auch gar nicht gut kennen, um zu vermuten, dass der Europäer die Französin und ihre Ehe gerade kampflos aufgab ...

„Ich verstehe dich ...“ meinte Paul. Er bedachte Mélanie mit einem mitfühlenden Blick und einem aufmunternden Lächeln auf den Lippen. Er streckte zögerlich den Arm aus und strich der Blondine fürsorglich über die Schulter. Was sich irgendwie awkward und gleichzeitig auch goldrichtig anfühlte. Der Amerikaner wusste nicht genau was er nun mit seinen Gedanken bezüglich Ben machen sollte. Sollte er Mélanie davon erzählen? Oder doch besser versuchen das Thema zu wechseln? Pauls Mund fühlte sich taub an. Wie nach einem aufwändigen Besuch beim Zahnarzt. So als würden seine Lippen die Worte bezüglich Ben, die durch seine Gedankengänge rannten, nicht formen können wollen. Die Blondine war nicht naiv. Mél war doch selber klar, dass ihre Beziehung nicht mehr ganz intakt war. Und wäre Pauls Ehe betroffen, dann hätte Mél ihre Gedanken sicher ungefiltert ausgesprochen. Doch der Amerikaner war nicht so direkt wie seine Kollegin. Paul war zwar die erwachsene Version des Klassenclowns. Der Type, der Witze am laufenden Band produzieren konnte und vor dessen Humor grundsätzlich kein Thema sicher war. Doch wenn die Kameras nicht liefen, dann war Paul zwar noch immer humorvoll, aber dann war er nicht so laut und schrill wie er es manchmal auf der großen Leinwand war. Dann war der Amerikaner oft auch unsicher. Verunsichert und vorsichtig wusste er dann nicht, ob er seine wahren Gedanken in Worte fassen sollte oder besser nicht. So wie in dem Moment auch. Äußerlich blieb Paul ganz ruhig, innerlich überlegte er fieberhaft was er sagen wollte ... Was er sagen konnte. Er wollte für Mélanie da sein. Als richtiger Freund. Mit Rat und Tat. Doch ihre Ehe ... Das war so ein zutiefst persönliches Thema. Da hatte er eben doch Hemmungen. In Méls Augen wären solche Überlegungen wohlmöglich absoluter Quatsch gewesen. Für Paul waren sie aber eine Realität.

„Vielleicht ...“ Paul räusperte sich nervös. „Vielleicht hat Ben immer noch nicht richtig begriffen was er mit seinem Verhalten aufs Spiel setzt.“ mutmaßte der Amerikaner mit gerunzelter Stirn. „Ich will ihn gewiss nicht in Schutz nehmen!“ Der Schauspieler hob abwehrend die Hände. „Eigentlich sollte er es schon längst verstanden haben.“ stellte Paul klar und unterstrich seine Worte mit einem Nicken. „Er sollte dich auf Händen tragen anstatt dir die kalte Schulter zu zeigen.“ Es war ein Fakt. Wie ein Naturgesetz. „Aber vielleicht ...“. Ist eure Ehe ihm einfach nicht mehr wichtig. „Musst du ihm wirklich noch klarer machen wie sehr du unter seinem Verhalten leidest. Oder ...“ Paul zögert kurz. „... Auch was die Konsequenzen sind, wenn er sich nicht ändert.“ Die Worte kamen dem Amerikaner wie ein Drahtseilakt vor und er spürte wie seine Wangen zu glühen begannen. „Ich meine ... Ähm ... Naja ...“ druckste er herum und fuhr sich mit der Hand durchs dunkle Haar. „Du bist doch gerade nicht glücklich mit ihm und du kannst doch nicht ewig unglücklich in deiner Beziehung bleiben, nur weil Ben sich praktisch weigert um eure Ehe zu kämpfen.“ Für Paul waren solche Worte wie ein Spaziergang auf dünnem Eis. Und doch fühlten sie sich schlichtweg wahr an. „Du verdienst einen Mann, der dir verspricht, dass er dir jeden Samstag das Frühstück ans Bett bringt – und der das dann zumindest an zwei Samstagen im Monat auch wirklich macht.“ Paul grinste schief. Den perfekten Mann gab es nicht, doch die Französin hatte das verdient was diesem unrealistisch perfekten Mann im echten Leben am nächsten kam. „Du weißt schon. Jemand, der dir zumindest jeden dritten Wunsch von den Augen abließt. Und wenn Ben nicht bald zeigt, dass er dieser Mann nach wie vor sein will, dann wird das doch sicher Konsequenzen für eure Beziehung haben.“ Paul sah Mélanie abschätzend an. Seine Blicke schlichen vorsichtig über das Gesicht der Blondine. Dabei war er sich ziemlich sicher, dass die Europäerin das aktuelle Verhalten ihres Gatten nicht bis in alle Ewigkeiten einfach so hinnehmen würde. „Vielleicht ist Ben das noch nicht ganz klar.“ mutmaßte der Schauspieler. „Vielleicht kannst du ihm das also noch klarer machen.“ schlug der Amerikaner der Blondine vor. „Denn du bist eine wunderbare Frau und du solltest wirklich einen Mann haben, der dich anhimmelt.“ Paul schenkte seiner Freundin ein aufrichtiges Lächeln. Mélanie definierte sich nicht über Ben. Sie war eine starke und unabhängige Frau. Sie brauchte generell keinen Mann, der sie glücklich machte. Sie konnte sich auch allein glücklich machen. Doch es war offensichtlich, dass sie jemand war, der sein Glück gern mit einem Partner teilte. Und so verdiente sie einen Partner, der wiederum Mélanie verdiente. Ein solcher Partner musste sicher nicht perfekt sein, doch er musste für die Europäerin da sein. Ja, die Schauspielerin brauchte jemanden, der wirklich für sie da war. Jemand wie etwa ein guter Freund, der zufälligerweise auch einen vorzeigbaren Lebensgefährten abgab ...


RE: DEAR PRUDENCE - Melanie Laurent - 04.08.2021

Es fühlte sich gut an sich endlich von jemanden verstanden zu fühlen. Sie wusste, dass Paul das nicht nur so sagte, sondern es auch so empfand. Warum also konnte Ben sie nicht auch verstehen? Ben und Mélanie sprachen ja sogar dieselbe Sprache, während sie sich hier mit Paul in einer für sie fremden Sprache unterhielt. Dennoch verstand er sie besser als ihr französischer Ehemann, mit dem sie nun bereits 8 Jahre zusammen war. Die hübsche Laurent war ihm dankbar für sein aufmunterndes Lächeln und seine tröstende Berührung. Tatsächlich ging es der 34-Jährigen schon ein wenig besser. Auch wenn sich ihre Situation nicht geändert hatte, so war es schon ein gutes Gefühl zu wissen, dass sie nicht überreagiert hatte und ihre Wünsche nachvollziehbar waren. Sie fühlte sich in ihrem Standpunkt bestätigt und das war ein positives Gefühl. Wenn man bei jeder Konfrontation nur zu hören bekam, dass man übertrieb, dann begann man das irgendwann selbst zu glauben. Doch Paul hatte ihr aufgezeigt, dass es nicht normal war, wie Ben mit ihr umging und dass ihre Forderungen berechtigt waren. Im nächsten Moment jedoch zeigte ihr etwas auf, was für ein sehr mulmiges Gefühl in der Künstlerin sorgte. Paul war der Meinung, dass Ben sich womöglich der Konsequenzen nicht bewusst war, wenn er nicht bald etwas ändern würde. Die Konsequenzen. Mél schluckte schwer. Ihr war bewusst, dass er mit Konsequenzen nicht meinte, dass die Blondine ihren Ehemann dauerhaft ins Gästezimmer verlegte oder aufhörte Abendessen für ihn zuzubereiten. Die Konsequenzen kannte ihr amerikanischer Freund nur zu gut: Scheidung. Alleine bei dem Gedanken daran fuhr ein kalter Schauer über ihren Rücken. Doch das kam noch lange nicht infrage. Sie wusste zwar noch nicht was, aber zuerst würde sie noch hundert andere Dinge probieren, bevor sie diese Option bedenken würde. Obwohl Paul natürlich recht hatte: Die Europäerin konnte nicht für immer in einer Beziehung bleiben, die sie nicht mehr glücklich machte. „Warum muss man Männer immer alles sagen? Kann Ben sich nicht denken, dass es irgendwann Konsequenzen gibt, wenn er so weiter macht?“ Die Blonde hatte ihn mehrmals darauf aufmerksam gemacht, dass die Situation sie nicht glücklich machte und sich etwas ändern muss. Sie hatte schon für den Vorschlag einer Paartherapie immens viel Mut zusammennehmen müssen. Wie sollte sie es dann schaffen ihrem Ehemann anzudrohen, ihn zu verlassen? Aber vielleicht würde ihn das ja wirklich wachrütteln.

Würde sie Paul nicht so gut kennen, dann würde Mél behaupten, dass seine Darstellung eines Partners utopisch war. Doch die Europäerin wusste, dass Paul so ein Partner für eine Frau sein würde. Er würde eine Frau auf Händen tragen und würde an zwei von vier Wochenenden im Monat an das Frühstück im Bett denken, wenn dies dieser Frau wichtig sein würde. Er würde regelmäßig Blumen nach Hause bringen, einfach weil ihm danach war und er seiner Liebsten eine Freude machen wollte. Paul Rudd war die Verkörperung eines Traummannes und würde irgendwann eine neue Frau an seiner Seite haben und diese unglaublich glücklich machen. All diese Dinge klangen natürlich verlockend für die 34-Jährige, doch sie brauchte das nicht. Die Blondine brauchte keinen Traummann, auch wenn sie natürlich nicht nein sagen würde, wenn Ben sich ein paar Dinge von Paul abschauen würde. Sie brauchte kein samstägliches Frühstück im Bett oder hübsche Schnittblumen (die sie ja sowieso nicht mochte) für ihr Glück. Mélanie wollte lediglich Aufmerksamkeit von ihrem Mann und dass er auch gerne Zeit mit ihr verbrachte. Dabei mussten sie auch in keinem schicken Restaurant sitzen oder ins Theater gehen. Klar, dass alles waren schöne Dinge, aber es würde ihr auch reichen, wenn das Paar einfach mal wieder einen Abend gemütlich vor dem Fernseher sitzen würde und kuschelnd einen Film ansehen. Und zwar ohne das Mél ihren Mann beinahe dazu nötigen musste, sondern dass er von sich aus auf seine Frau zukam und ihr sagte, dass er gerne mit ihr gemeinsam ein paar gemütliche Stunden verbringen wollte. Oder dass er sie nicht kurzfristig versetzte, wenn sie Karten für ein Theater organisiert hatte, zu dem er zugesagt hatte. Das waren keinesfalls irgendwelche utopischen Wünsche und dennoch kamen ihr diese nach diesem Streit vorhin unerreichbar vor. Es war einfach so schwer, wenn gar keine Einsicht kam. Paul hatte aufgezählt welche Art von Mann die Schauspielerin seiner Meinung nach verdiente und Ben war seit ihrem Umzug nach New York sehr weit von diesem Mann entfernt. „Vielen Dank Paul, das ist echt lieb von dir.“, erwiderte sie schlussendlich und stellte ihr Glas Wasser auf dem Couchtisch ab. „So ein Mann wäre wirklich toll.“ Sie lachte leise. „Kann ich Ben bei dir in einen Kurs schicken?“, fragte die Schauspielerin scherzhaft, auch wenn ihre Stimme noch immer verzweifelt klang. Paul musste ihm ja gar nicht all seine Qualitäten beibringen, ein paar wenige würden schon reichen.


RE: DEAR PRUDENCE - Paul Rudd - 07.08.2021

„Vielen Dank Paul, das ist echt lieb von dir.“ Paul nahm einen Schluck von seinem Wasser, leerte das Glas und nickte dann. „Klar doch.“ Er sagte das in einem beschwingt-optimistischen Tonfall, der 'Und jetzt Kopf hoch, das wird schon wieder, Ben braucht vielleicht nur etwas länger als andere. Und das sollte dich eigentlich nicht überraschen, denn er ist ja schließen ein Mann' als Unterton in sich mitschwingen hatte. Der Amerikaner schenkte Mélanie das dazu passende Lächeln. Das hoffnungsvolle Lächeln eines blauäugigen Kindes. Tatsächlich empfand der Schauspieler diese naive Zuversicht jedoch nicht. Pauls Pessimismus war insgeheim so bitter und pechschwarz wie dampfender Kaffee. Der Amerikaner war bestimmt kein Zyniker oder Schwarzseher, doch nach allem, was die Europäerin Paul über Ben erzählt hatte, konnte er sich Mélanies Gatten wirklich nur schlecht als formvollendeten Gentleman vorstellen. Ben ignorierte seine Frau und ihre Wünsche ständig. Er versetzte Mél, da seine Arbeit ihm ganz offensichtlich wichtiger war als ein Konzertbesuch mit der Blondine oder ein romantisches Abendessen mit seiner Frau. So jemand wachte doch nicht eines Morgens auf und beschloss von nun an ein Vorzeige-Partner zu sein. „So ein Mann wäre wirklich toll.“ Paul stimmte in das leise Lachen der Schauspielerin ein. Der Kanon klang geknickt. „Wäre?“ Der Schauspieler zog eine Augenbraue hoch. „Bei dir klingt das so als wäre so eine Mann eine fast schon verklärt-romantische Figur. So wie der Prinz im Märchen oder Tom Hanks in Sleepless in Seattle.“ Paul schüttelte entschieden den Kopf. „Solche Männer gibt es wirklich und gerade du solltest daran glauben, denn gerade du hast einen solchen Mann verdient!“ stellte der Amerikaner mit einer gewissen Vehemenz in der Stimme klar. Ein paar Wimpernschläge verstrichen in Stille. Augenblicke, in denen Pauls Worte im Raum an Volumen gewannen. „Wirklich …“ fügte der Schauspieler murmelnd hinzu. Paul drehte nun das Glas in seiner Hand. Er schaute auf das Glas und sah doch nicht richtig hin. In Gedanken war Paul noch immer bei dem Mann, den Mélanie verdiente. Ein Mann, der gar nicht mal perfekt sein musste. Er musste doch nur für die Blondine da sein. Eben der Partner an ihrer Seite sein. Das sollte doch nicht zu kompliziert, sondern ziemlich machbar sein. Und trotzdem bekam Ben es anscheinend nicht gebacken. Und alles, was Paul tun konnte, war hier sitzen und schlau reden… Der Schauspieler unterdrückte einen bitteren Seufzer. Es war natürlich wichtig und vielleicht sogar hilfreich Tipps zu geben und das wusste der Amerikaner schon auch. Doch Paul hätte einfach gern mehr für Mélanie getan. Sie war eine großartige Person und hatte einfach mehr verdient. So viel mehr.

„Kann ich Ben bei dir in einen Kurs schicken?“ riss die Europäerin ihren Kollegen aus dessen schwermütigen Gedanken. Paul stellte sein leeres Glas neben Mélanies auf dem Tisch ab. „Ich kann so einen Kurs leider nicht anbieten. Ich habe kein geheimes Wissen, welches ich den potentiellen Kursteilnehmern vermitteln könnte. Ich würde den Leuten mit solchen Kursen also nur das Geld aus der Tasche ziehen.“ Der Amerikanerin tippe sich mit gespielter Nachdenklichkeit ans Kinn. „Wobei ...“ Paul grinste. „Hast du schon mal gesehen was für komplett unnützes Zeug sie den Zuschauern bei diesen Teleshopping-Kanälen andrehen? Verglichen damit wär ich ein grundehrlicher Geschäftsmann mit meinen Kursen.“ witzelte er. Paul ging auf den Scherz der Europäerin ein, tatsächlich und innerlich war ihm jedoch eigentlich gar nicht zum Lachen zumute. Es steckte irgendwo eine traurige Wahrheit in dem Witz. Ben hätte so einen Kurs nämlich wirklich nötig gehabt. Doch so einen Kurs gab es nicht. Denn ins Pauls hypothetischem Lehrgang ging es nicht darum wie man sich in der feinen Gesellschaft benahm. Es ging nicht um Verhaltensregeln, die gepaukt werden mussten. Man lernte nicht mit welchem Besteck man was essen sollte, wenn man sich bei einem Galadinner nicht blamieren wollte. Wäre der Kurs real gewesen, dann hätte man dort gelernt ein Partner zu sein, der respektvoll und umgänglich war. Der mitdachte und vielleicht auch mal Eigeninitiative zeigte. Solche ganz alltäglichen Dinge. Das war schon alles. Und es gab diesen Kurs nicht, weil das eigentlich jeder können sollte. Nicht nur jeder Partner, sondern jeder Mensch generell. Also auch Ben. Er musste nicht Superman sein, das verlange niemand. Clark Kent hätte schon gereicht. Aber nein ….

Nach einigem Zögern und einigen Zweifeln räusperte der Amerikaner sich. „Was ist denn mit dir?“ Er sah Mélanie jetzt direkt in die Augen. Noch immer freundlich, aber auch ernst. „Hast du mal darüber nachgedacht einen Kurs zu belegen? Vielleicht einen, in dem man lernt seinem Mann so richtig den Kopf zu waschen?“ Das zu fragen erforderte Mut und Paul war dabei durchaus ein wenig zittrig zumute. Es war ein sensibles Thema. Gleichzeitig glaubte der Schauspieler aber eben wirklich, dass Mélanie in der Situation mit Ben ganz entschlossen auftreten musste – und er glaubte, dass sie Mut zu würdigen wusste. „Egal wie sehr du es vielleicht willst, Bens Verhalten kannst du nicht verändern. Das kann letztlich nur er selber.“ fuhr Paul fort. „Was du aber verändern kannst ist dein eigenes Verhalten. Die Art wie du auf Bens Verhalten reagierst. Was du akzeptierst – oder eben nicht. Achte vielleicht mehr auf dich. Auf das, was du willst und wie du dir eine Beziehung vorstellst – oder eben nicht.“ Paul kam sich fast schon weise vor, aber hey, es stimmte doch. „Vielleicht war dein bisheriger Ansatz falsch und du hast zu sehr versucht ihn zu ändern. Anstatt dich in den Fokus zu stellen und bei dir anzusetzen und mit deinen Veränderungen letztlich vielleicht auch ihn zu verändern.“ Wo sie irgendwo ja wieder bei den Konsequenzen waren. Paul lächelte ein mattes Lächeln. Er wünschte Mélanie, dass es so kommen würde. Dass Mél in sich gehen und dann strenger auftreten und Ben sich daher dann ändern würde, wirklich daran glauben tat Paul jedoch nicht. Woran er jedoch tatsächlich glaubte war, dass die Blondine sich selbst in den Fokus stellen sollte. Sie musste für sich herausfinden was sie glücklich machte und ob diese Beziehung das wirklich noch immer war. Kurz herrschte Schweigen im Zimmer. Draußen, irgendwo in der Nachbarschaft, hatte jemand laut Musik aufgedreht. Rock. Gitarren kreischten. Vielleicht lag es daran, dass niemand Etwas sagte, auf jeden Fall wurde Paul langsam mehr und mehr bewusst, dass er sich hier ziemlich als Möchtegern-Psychologe betätige und sich ganz schön in eine Ehe einmischte, die nicht die seine war. Sein Mut schmolz also langsam dahin und dem Schauspieler wurde unangenehm warm. Die Zweifel von gerade eben holten den Amerikaner nun doch wieder ein. Was tat er hier eigentlich?! Erneut räusperte Paul sich. Er lächelte schräg und scheu. „Du … Ähm … Kannst ja vielleicht mal darüber nachdenken.“