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YOUR HEART WAS GLASS - Joaquin Phoenix - 03.10.2021

Your heart was glass
,I dropped it
SCARLETT JOHANSSON & JOAQUIN PHOENIX # EINE BAR # LOS ANGELES, KALIFORNIEN # 14. DEZEMBER 2018 # SPÄTER ABEND


Der Kellner warf den Kopf in den Nacken und lachte über einen Witz, den die zwei Touristen am Nebentisch gemacht hatten. Die jungen Leute mit den verräterischen Los Angeles Dodgers-Basecaps auf den Köpfen und der Haut, welche von der kalifornischen Sonne bereits ganz braungebrannt war. Der Kellner nahm gerade die Bestellung der beiden Jungs auf. Während sein Kugelschreiber über den kleinen Notizblock sprintete, scherzte er mit den Touristen. „Werden sie dir denn hier wenigstens an Weihnachten freigeben, damit du Santa Claus am wichtigsten Abend des Jahres auch tatkräftig unterstützen kannst?” fragte einer der beiden Jungs, wobei er einige Buchstaben auffällig rollte. Der junge Mann grinste breit und deutete auf die Kappe der Bedienung. Es war Dezember und der Mann anscheinend bereits in Weihnachtsstimmung, denn er trug eine Wichtelmütze, die rot und grün gestreift war. Tatsächlich sah der hünenhafte, breitschultrige Mann gerade schon ein wenig so aus als wäre er das unehrliche Kind von Will Ferrells Charakter in Buddy – Der Weihnachtself und einem stereotypen Hollywood-Muskelprotz. Der Kellner gluckste und schüttelte den Kopf. Die kleine Glocke an seiner Mütze klingelte fröhlich. „Nö. Aber das ist auch nicht schlimm. Wenn er die Geschenke zu den Kindern bringt, dann braucht Santa uns Elfen nicht. In der Nacht müssen die Rentiere zeigen, ob sie das Premium-Heu, das wir an sie verfüttern, auch wirklich wert sind.” meinte der rotblonde Riese zwinkernd. „Ich bin gleich wieder bei euch.” Mit einer routinierten Bewegung ließ der Kellner den Stift und den Notizblock in seiner Gesäßtasche verschwinden. Dann ging er mit schnellen Schritten davon, die stets vom Geklimper seines Glöckchens begleitet wurden.

Auf seinem Weg kam der rotblonde Hüne auch an Joaquins Tisch vorbei. Beim Anblick der bunten Elfenmütze und beim helltönenden Klang der Glocke fragte der Schauspieler sich unweigerlich wo und wie er wohl die Feiertage verbringen würde. Zwei Antworten drängte sich sofort regelrecht auf und schienen eigentlich auch die einzig vertretbaren zu sein. Joaquins Blick fiel auf das Glas vor ihm, in dem die bernsteinfarbene Flüssigkeit verheißungsvoll schimmerte. Wo? Höchstwahrscheinlich hier in dieser Bar. Wie? Na, mit möglichst viel Alkohol, wie sonst?! Seine Familie würde das natürlich nicht gern sehen. Wahrscheinlich würde es Einladungen geben. Wollte er denn nicht vielleicht bei seiner Mutter und seinem Stiefvater zum Abendessen vorbeikommen? Oder mit seiner Schwester und deren Jungs unterm geschmückten Baum sitzen? Geschenke auspacken mit seiner Schwester Rain? Vielleicht ein Weihnachtskaffee mit seiner Schwester Liberty? Eventuell würde auch Annie ihn einladen. Schon allein damit sie sicherstellen konnte, dass ihr bester Freund sich nicht noch an Weihnachten mit einer Girlande aus Lametta aufhing.

Der Amerikaner lächelte gequält. Anne machte sich wirklich Sorgen um ihn und das war nett, doch es nervte ihn auch. Der Schauspieler schielte nun zu seinem Handy hin, welches stumm und regungslos auf dem Tisch lag, das Display verschmiert von unzähligen Fingerabdrücken. So stumm und regungslos war das Telefon nicht den ganzen Abend lang gewesen. Joaquin rieb sich mit den Fingerspitzen über die Schläfe. Das Echo von Annes Stimme hallte jetzt durch die Gedankengänge des Amerikaners. Bei dem Telefonat von gerade eben hatte die Brünette aus ihrer Sorge um Joaquin keinen großen Hehl gemacht. Die Angst um ihn hatte sich nicht in den Silben versteckt, sie hatte den Schauspieler schier angesprungen. Da war keine kopflose Panik gewesen, doch aufrichtige Sorge hatte schon in Annes Stimme gelegen. Die Brünette hatte geradeheraus wissen wollen wo Joaquin war, was er tat und was er vorhatte zu tun. Der Amerikaner verzog das Gesicht zu einer Grimasse. Anne meinte es nur gut. Sie wusste wie schlecht es ihm ging, bekam das ja sogar teilweise direkt mit. Da machte sie sich natürlich Sorgen und wollte ihrem besten Freund helfen. So ein fürsorgliches Verhalten war typisch Anne. Joaquin wusste das ja auch zu schätzen und es rührte ihn, doch gleichzeitig regte Annies Sorge ihn eben auch auf. Er gab sich große Mühe der Brünetten das nicht zu offensichtlich zu zeigen, aber innerlich brodelte manchmal ein fast schon kindlich-trotziger Zorn in Joaquin. Ja, er trank seit Rooney ihn verlassen hatte vielleicht etwas viel. Gut, vielleicht auch etwas zu viel. Und, ja, auch generell ging es Joaquin mental im Augenblick ziemlich bescheiden. Er versumpfe in irgendwelchen Bars oder verbarrikadierte sich Zuhause und ließ niemanden mehr an ihn ran. Doch es war seine Sache, verdammt! Ob er trank, wie viel er trank und ob er dabei allein sein wollte oder nicht. Es war nicht Annes Entscheidung, sondern Joaquins! Einzige und allein Joaquins! Und wenn er sich wirklich Nacht für Nacht ins pechschwarze Vergessen hätte trinken wollen, dann wäre auch das seine Entscheidung gewesen! Er brauchte ihre Erlaubnis nicht und überhaupt, wer glaubte die Amerikanerin denn wer er war?! Gestatten, Joaquin Rafael Phoenix, Grammy-Gewinner, Golden Globe-Preisträger, mehrfach für den Oscar nominierter Schauspieler – und bald neustes Promi-Mitglied bei den Anonymen Alkoholikern?! Man konnte auch übertreiben und Anne übertrieb – zumindest Joaquins Meinung nach – definitiv! Sie hatte bei dem Telefonat sogar gesagt, dass sie Hilfe für ihn organisieren würde! Der Amerikaner wollte und brauchte ihre Hilfe nicht! Joaquin hatte die Brünette auch nicht darum gebeten! Wobei der Schauspieler sich diesbezüglich auch keine großen Gedanken machte, wenn er ehrlich war. Was wollte Annie denn schon machen? Mal eben von New York nach L.A. fliegen und ihn hier aufsammeln? Einen Aufpasser vorbei schicken? Einen Babysitter? Sicher doch …

Jedenfalls, nein, der Schauspieler würde Weihnachten weder mit seiner Familie noch mit Anne verbringen. Er würde seiner Leber eine kleine Pause gönnen und seinen ganzen Familienmitgliedern und Anne und Jonathan Weihnachtsgeschenke kaufen. Richtige Geschenke, die von Herzen kommen würden. Nicht nur Schokolade in Form eines bärtigen Mannes mit Übergewicht oder Gutscheinen von Amazon. Das hatte der Schauspieler sich fest vorgenommen. Doch das Fest der Liebe würde Joaquin allein mit seinem Kumpel Jack Daniel's verbringen. Er nickte sich selbst bekräftigend zu. Apropos! Der Amerikaner griff nach seinem Drink. Der Whiskey spülte die trotzige Wut über Annies Sorge nach und nach weitestgehend weg. Was blieb war eine dumpfe Melancholie, die wie Kopfschmerzen pochte und deren bitterer Geschmack sich mit dem rauchigen Aroma des Drinks vermischte. Ein Schatten fiel über das Gesicht des Amerikaners. Fest der Liebe. Liebe, pha! Dieses zutiefst heimtückische Gefühl verdient doch gar kein eigenes Fest! Die Liebe ließ einen fliegen und gaukelte einem Glück vor, nur um einen dann abstürzen zu lassen! Die Liebe eignete sich wunderbar dafür, um mit geschmetterten Balladen oder romantischen Komödien Geld zu verdienen, doch davon einmal abgesehen war dieses Gefühl doch nicht mehr als ein glorifizierter Haufen Scheiße! Alles was man brauchte war die Liebe? Falsch! Man brauchte viele Dinge. Von genügend Nahrung bis hin zu sanitären Anlagen. Aber kein Mensch, wirklich kein Mensch, brauchte es einen anderen Menschen so sehr zu lieben, dass dieser andere Mensch die Macht hatte einem das noch schlagende Herz einfach so aus der Brust reißen zu können. Liebe war nicht das tolle Gefühl, welches in quietschvergnügten Popsongs besungen und gefeiert wurde. Liebe war ein Fluch. Gnadenlos und brutal! Während aus der Box über seinem Kopf ein Klassiker von Dolly Parton schallte, verzerrte Joaquin grimmig das Gesicht und genehmigte sich einen besonders großen Schluck von seinem goldenen Whiskey.

Nach Dolly sang Willie Nelson und dann war Kelly Clarkson an der Reihe. Ein Song ging nahtlos in den nächsten über. Der Jungs vom Nebentisch verließen schnatternd die Bar. Die Schicht des breitschultrigen Kellners endete. Ein gertenschlanke Frau, die ihre silbrig schimmernden Haare zu einem strengen Pferdeschwanz zusammengebunden hatte, übernahm für ihn. Minuten reihten sich aneinander wie Perlen es bei Ketten taten. Als sie die Bar betrat und dann geradewegs auf ihn zukam, war Joaquin also schon längst nicht mehr ganz nüchtern. Er sah zu dieser fremd-vertrauten Frau – und konnte sich im ersten Moment gar nicht vorstellen, dass sie tatsächlich hier war. So als wäre Scarlett eine Halluzination. Eine Art Fiebertraum. Nur ganz langsam sickerte die Wahrheit in das betäubte Bewusstsein des Schauspielers. Scarlett, der Joaquin einst so wehgetan hatte, dass er es bis zum heutigen Tag bitterlich bereute, war an diesem Abend tatsächlich hier. Mehr noch. Sie steuerte weiterhin unbeirrt auf seinen Tisch zu. Es war wie in einem Film. Alles schien wie in Zeitlupe abzulaufen. Scarlett stolzierte auf den Schauspieler zu und die Welt um sie herum existierte praktisch nicht mehr. Die Musik, die Gespräche der Gäste und das Geklapper des Bestecks, all das war verstummt. Die Menschen in ihren neonfarbenen Shirts und die quietschbunten Drinks in ihren Händen, all das war verblasst. In dem Moment schien es nur noch Scarlett zu geben. Mittlerweile stand die vor ihrem Kollegen. Dieser sah sie jetzt verwirrt an. Was machte sie hier? Sie konnte doch unmöglich zu ihm wollen. Joaquin runzelte die Stirn. In dem genau dem Moment stieg dem Schauspieler Scarletts süßlich herbes Parfüm in die Nase, was sofort tausende Erinnerungen in ihm wachrieft. Joaquin versuchte die nostalgische Melancholie abzuschütteln, die ihn augenblicklich am Handgelenk gepackt hatte. So nah war die Schauspielerin ihm jetzt. Scarlett. Joaquin musterte die Kollegin. Sie war schön wie eh und je, vielleicht sogar noch schöner als damals. Das starke und unabhängige Mädchen von damals war erwachsen geworden und das stand ihm gut. Es war wie als hätte sich eine Prophezeiung erfüllt. Damals hatte man die New Yorkerin angesehen und eine unglaubliche Frau war einem versprochen worden. Heute war das Versprechen eine Realität. Heute war sie diese Frau. Nun setzte Scarlett sich Joaquin gegenüber, was dieser mit einem überforderten Blinzeln kommentierte. „Scarlett …” Der Amerikaner sprach den Namen der Kollegin wie eine Frage aus. Seine Blicke klebten dabei noch immer an ihr. Scarlett hatte Joaquin immer an das alte Hollywood erinnert. An Frauen wie Jean Harlow oder Marilyn Monroe. Doch während Marilyn eine Kunstfigur gewesen war, eine Maske, die Norma Jean Baker getragen hatte, hatte Scarlett etwas ganz und gar Authentisches an sich. Da war oft ein rebellisches Funkeln in ihren Augen. Sie würde immer für sich und andere einstehen, kämpfen, sich nicht alles gefallen lassen, eine echte Superheldin sein. Dieses Funkeln war auch jetzt da. Es erinnerte Joaquin daran, dass Scarlett sicher nicht hier war, um von ihm angestarrt zu werden. Der Schauspieler räusperte sich unsicher. Seine Hände umfassten das Glas, hielten sich daran fest. Er trank jedoch nicht. Seine Blicke huschten zu Scarlett, sprangen davon, nur um dann wieder zu der Schauspielerin zurückzukehren. Scarlett. Wie lange war das jetzt her? Wollte der Amerikaner das überhaupt wissen? Die Lippen des Schauspielers waren plötzlich ganz kalt und taub. Joaquin wusste nicht was er sagen sollte. Wenigstens, so dachte er, war er gerade aber angetrunken. Nüchtern wäre dieser Moment noch so viel furchtbarer gewesen. „Was … Ähm …” druckste Joaquin herum. „Was machst du hier?” Noch in dem Moment, in dem seine Lippen die Frage formten, kannte der Amerikaner die Antwort jedoch. Die Awkwardness verschwand. Zumindest für den Moment. Der Amerikaner seufzte. Aber klar doch! Er wusste was hier gespielt wurde und er wusste, dass er mit seiner Vermutung richtig lag. Etwas in Scarletts Blick schien es stumm zu bestätigen. „Das glaub ich jetzt nicht!” Joaquin schüttelte empört den Kopf. „Anne schickt dich!” Wieder schüttelte Joaquin den Kopf. „Du bist mein Babysitter!”