16.08.2020, 11:00
Dear Prudence
Won't you come out to play?
Dear Prudence
Greet the brand new day, hey
The sun is up, the sky is blue
It's beautiful, and so are you
Dear Prudence
Greet the brand new day, hey
The sun is up, the sky is blue
It's beautiful, and so are you
MÉLANIE LAURENT & PAUL RUDD # PAULS APARTMENT # 19. JUNI 2018 # FRÜHER ABEND
Paul band sich mit routinierten Handgriffen die Krawatte und betrachtete dann mit skeptischen Blicken den Mann im Siegel. Diesen geschniegelten Anzugträger. Paul runzelte die Stirn. Der Schauspieler hielt sich ja durchaus für einen humorvollen Gesellen, aber die Kombination aus einem – laut Einladung – 'entspannten Zusammensein' und diesem Dresscode, den Witz verstand der Amerikaner nun wirklich nicht. Paul sah nicht gerade so aus, als würde er gleich zu einem gemütlichen Abendessen gehen. Er sah eher so aus, als würde er sich jeden Moment zu einem Vorsprechen für Downton Abbey aufmachen, wo er auf eine Rolle als blaublütiger Schnösel hoffte! Ja, ja, Leute aus dem Business würden auch bei dem Dinner sein und das machte es irgendwo und so halbwegs auch zu einem beruflichen Termin, zumindest im weiteren Sinne und bei einem solchen zog man sich dementsprechend an, keine Frage. Aber auch jemand wie Paul, der unheimlich gern scherzte und Witzen aller Art sehr zugetan war (sogar den ganzen miesen oder jenen ohne Punchline), selbst so ein Scherzkeks, nahm ein Wörtchen wie 'gemütlich' nun mal sehr ernst, wenn es in einer Einladung zum Essen Verwendung fand. Gerade dann! Und gerade auch an einem Tag wie heute, wenn die Temperaturen so sommerlich waren, dass man die Badehose dem Businessanzug eigentlich vorziehen würde. Der Schauspieler strich sich zögerlich das dunkle Haar aus der Stirn, den Blick noch immer auf sein Spiegelbild gerichtet, die Skepsis noch immer in den Augen. Einen Moment lang verharrte Paul noch so. Dann hellte sich das Gesicht des Amerikaners jedoch wieder auf. Paul war nicht besonders wehleidig und er war nicht jemand, der sich gerne im Selbstmitleid suhlte. Der Mann im Spiegel drückte den Rücken durch und schnippte einen Fussel von seiner Schulter. Hey, Schwitzen war bekanntlich gesund und wenn man mit hohen Tieren speisen wollte, dann musste man sich halt auch wie sie kleiden. Wie sie – oder eben wie jemand, der zu den Men in Black gehörte!
Paul wandte den Blick vom Spiegel ab, drehte das Handgelenk und sah auf seine Armbanduhr. Noch musste er nicht aufbrechen. Unschlüssig ging er im Schlafzimmer ein wenig auf und ab. Der Amerikaner fuhr sich gedankenverloren mit der Hand über das stoppelige Kinn und kratzte sich dort. Wie sollte Paul die Zeit bis zum Aufbruch totschlagen? Sollte er ein paar Seiten lesen? Eher nicht. Kaum wäre der Amerikaner richtig in das Buch seiner Wahl versunken, würde Paul sich auf den Weg machen müssen. Und das galt leider für viele andere Aktivitäten auch. Was für eine TV- oder Filmerfahrung war das, bei der man gerade dann ausschalten musste, wenn es langsam richtig spannend wurde! Natürlich hätte er auch absichtlich einen grottenschlechten Film wählen können, bei dem man froh war, wenn man ihn endlich abstellen konnte. Doch derartig masochistisch veranlagt war Paul dann auch wieder nicht. Und sonst ... Im Haushalt gab es nichts zu erledigen, was wirklich in das entsprechende Zeitfenster des Schauspielers gepasst hätte. Paul war schließlich auch nicht gerade erpicht darauf sich später am Abend in einem halb geputzten Bad, in dem vielleicht sogar noch ein Eimer, Lappen und Putzmittel in Sprühflaschen herumstanden, die Zähne zu putzen. Der Blick des Schauspielers fiel auf ein eingerahmtes Foto seiner Kinder, welches im Regal thronte. Das Bild war in einem Familienurlaub aufgenommen worden. Darby und Jack standen Arm im Arm unter einer großen Palme und strahlten um die Wette. Auf dem Bild sahen sie wie eine kleine Einheit aus. Wie Freunde, zwischen die kein Blatt passte. Weshalb Paul diesen Schnappschuss so mochte. Das Foto zeigte eine Verbundenheit unter den Geschwistern, die letztlich eben doch stärker war als all das gegenseitige Ärgern, die wütenden 'Du nervst total!'-Anschuldigungen, die "Du bist ein Baby!/Selber Baby!'-Behauptungen und all die Rangeleien um die letzten paar M&M's in der Tüte. Auf dem Bild waren die Gesichter der Geschwister gerötet. Sie hatten auch vor Schweiß geglänzt, als das Foto aufgenommen worden war, doch das kam auf dem Bild nicht so richtig rüber. Beide Kinder hatten Sonnenbrillen auf den Nasen und beide trugen fast identische, knallbunte Basecaps. Die Art, die man immer nur in den Ferien toll fand und die danach im Schrank verschwanden, um dort ein deprimierendes Schattendasein zu führen. Beim Anblick dieses Bildes kam Paul ein Gedanke und ein Lächeln breitete sich auf seinen Lippen aus.
Am Wochenende würden die Sprösslinge ihren alten Herrn besuchen, da konnte dieser doch schon mal schauen, was er für seinen Besuch bereits alles im Haus hatte und was eventuell noch gekauft werden musste! Wie so viele andere Eltern auch scherzte Paul gerne mal, dass seine Kinder ihm die Haare vom Kopf fraßen – doch wenn er ehrlich war, dann kaufte er für diese Besuche nur zu gerne jenen Naschkram, der bei ihren Familien-Filmabenden bereits Tradition hatte. Oder generell Lebensmittel, mit denen er den Kindern eine Freude machen konnte. Gerade als Ant-Man-Darsteller wusste Paul, dass gerade die kleinsten Dinge oft die größte Wirkung hatten. Nichts ließ einen etwa so gut in den Tag starten wie ein Sandwich, welches dick mit der liebsten Erdnussbutter bestrichen war. Apropos! Der Amerikaner befand sich mittlerweile in der Küche seines Apartments und musterte prüfend das Glas Erdnussbutter in seinen Händen. Darbys Lieblingsmarke (Jack fand sie offiziell 'schon ganz okay, schätze ich' und liebte sie inoffiziell genauso sehr wie seine kleine Schwester), die angeblich ganz besonders cremig war und gefühlt nur in Eimern verkauft wurde. Bei dem Gedanken musste Paul unweigerlich schmunzeln. Würde ihn seine kleine Tochter besuchen oder würde doch ein hungriger Elefant übers Wochenende vorbeischauen? Wobei, wenn man es sich recht überlegte, dann würde die schmierige Creme für den Dickhäuter vielleicht nicht mehr ganz reichen, das große Glas war immerhin bereits angebrochen. Ein kleines Mädchen sollte damit aber noch länger als nur ein einziges Wochenende lang hinkommen. Also war Erdnussbutter für Darby (und Jack!) nichts, was der Amerikaner auf seine Einkaufsliste schreiben musste. Paul wandte sich gerade dem Kühlschrank zu und wollte nachsehen, ob sich dort noch genügend haltbare Milch finden ließ, als es an der Tür klingelte. Der Amerikaner hob die Augenbrauen und sah irritiert aus der Wäsche. Er musste noch immer nicht los und hatte außerdem auch keinen Fahrer bestellt. Paul hatte zumindest vorgehabt selber zu fahren. Er kratzte sich verwundert am Kopf, während er die Küche verließ und zur Wohnungstür ging.
Kurz darauf fand der überrumpelte Amerikaner sich mit einer völlig aufgelöst wirkenden Mélanie im Flur des Apartments wieder und geleitet sie ins Wohnzimmer. Er wusste nicht was los war, konnte aber sehen, dass Etwas los war. Was war das in den Augen der Französin? Verzweiflung? Wut? Bestürzung? Eine Mischung aus all diesen Dingen? So hatte Paul die talentierte Europäerin noch nie gesehen, so kannte er sie gar nicht. Das war nicht diese übersprudelnde Individualistin, die der Schauspieler in sein Herz geschlossen hatte. Das war – wenn überhaupt – ein bleiches Abziehbild dieser wunderbaren Frau. Es fiel ihm schwer Mélanie so zu sehen. Pauls Herz schien sich bei diesem Anblick schmerzhaft zusammenzuziehen. Sie brauchte Hilfe. Das sah er auf einen Blick. Die Avengers, die Kavallerie, ganz gleich! Ja, sogar die Justice League wäre willkommen gewesen, wenn die Superhelden-Truppe um Batman denn nur diesen traurigen Ausdruck in Mélanies Augen zum verschwinden gebracht hätte ...
Die Kollegen waren im Wohnzimmer, als Paul merkte, dass die Blondine ihn musterte und zu seiner Aufmachung hin schielte. Kein Wunder, wer lief schon mitten am Tag im Anzug in seiner eigenen Wohnung herum! Er merkte wie seine Ohren leicht rot anliefen. „Oh, der Anzug!“ Der Amerikaner lachte auf und deutete auf die gemütliche Couch, die Blondine konnte sich ruhig schon setzen. „Meine Waage ist kaputt und damit kontrolliere ich mein Gewicht bis sie wieder repariert ist oder ich eine neue habe.“ flunkerte er. „Wenn ich in diesen Anzug noch reinpasse, dann ist alles in Butter. Wenn der Anzug spannt, ist die Zeit reif für Weight Watchers.“ fügte der Schauspieler erklärend hinzu. „Diese Methode der Gewichtskontrolle sollte jeder mal ausprobieren. Sie erspart einem, dass diese dämonisch leuchtenden Zahlen einem jedes Mal geradewegs in die Seele starren, wenn man sich wiegt.“ scherzte Paul. Es war der ernst gemeinte Versuch die Situation aufzulockern. Der Versuch Mélanie zumindest zum schmunzeln zu bringen, sie aufzuheitern. Gleichzeitig kamen Paul diese Worte längst nicht so beschwingt über die Lippen, wie es schön gewesen wäre. Er war dafür zu sehr mit diesen schönen, aber gerade auch ebenso traurigen Augen der Blondine beschäftigt. Seine eigenen Augen folgten ihr, als Mél sich setzte. Sie brauchte ihn jetzt! Das Geschäftsessen war gecancelt, das stand für den Schauspieler fest. Dann würde es heute anstatt eines Sterne-Menüs eben Sandwiches mit Erdnussbutter geben! Wie Paul schließlich erst gerade noch festgestellt hatte, war von der salzig-süßen Creme ja zum Glück mehr als genug im Haus!