28.01.2021, 11:55
Zum gefühlten hundertsten Mal rieb sich Nina ihre Hände am Kleid ab. Gerade so als würde sie Bäche schwitzen, dabei waren ihre Hände trocken, sie einfach nur immer noch nervös. Das lag nicht allein an Ben, sondern einfach auch daran, dass sie nicht im geringsten damit gerechnete hatte, dass der Brite sie ihn seine Wohnung einlud. Immerhin wollte sie sich nur schnell entschuldigen und dann mit hochroten Kopf, der zu ihrem Kleid passte, die Flucht ergreifen. Hier war sie also. In seiner Wohnung und unterhielt sich mit ihm. Um so mehr er mit ihr sprach, umso mehr stellte sie fest, dass er so gar nicht war, wie sie ihn sich vorgestellt hatte. Was sicher auch an der Tatsache lag, dass sie nur im betrunkenen Zustand mit ihm gesprochen hatte. Wenn sie so zurückdachte, hatte sie ihn nie nüchtern kennengelernt, sondern nur wenn er sie wütend anblickte, nachdem es einmal wieder zu laut gewesen war. Doch die laute Musik und der Alkohol hatten immer die Stimmen in ihrem Kopf verstummen lassen. Eine Freundschaft wie sie, sie mit Nikki und Ian hatte zu verlieren, war nicht einfach. 2 Menschen die Familie waren, hatte sie einfach fallengelassen und vergessen. Steckte man das einfach weg? Steckte, das irgendjemand einfach weg? Es waren Menschen gewesen, denen sie sich anvertraut hatte, denen sie alles gegeben hatte, weil sie es wollte und dafür bekam sie einen Schlag in den Magen und ins Gesicht. Nicht nur ihr Exfreund, nein auch ihre ehemalige beste Freundin hatten sie hintergangen. Nicht ein Wort von den Beiden. Nina erfuhr von der Hochzeit über das Internet. Ein weiter Schlag in den Magen. Nina konnte sich noch gut erinnern, dass sie und Ian eins über Hochzeit gesprochen hatten aber damals war sie einfach noch nicht bereit, auch nicht für ein Kind. Hatte er sich deswegen jemanden gesucht, der ihm genau das gegeben hatte? Hatte er sich verliebt, weil sie nicht wollte wie er? Doch Nina wusste, dass diese Gedanken vollkommen sinnlos waren, denn dem war nicht so. Als er sich in Nikki verliebt, waren sie getrennt und damit war er frei wie ein Vogel. Doch niemand steckte eben so einfach weg, dass seine erste große Liebe sich jemanden anderen gesucht hatte. Vielleicht war auch einfach das ihr Problem. Er hatte es überwunden, weiter gemacht und sich neu verliebt und sie? Sie hatte bis heute niemanden gefunden, der es wert war, Gefühle zu investieren. Würde sie jemals jemanden wie Ian finden? Würde sie sich wieder verlieben können? Nina seufzte leise aus und rutschte tiefer in das Sofa von Ben. So viel ging gerade in ihrem Kopf vor und jeder Gedanken erhöhte den Drang wieder zur Flasche zu greifen. War sie eine Alkoholikerin? Nein. Sie wusste was ein Alkoholiker war. Wenn sie aber genauer darüber nachdachte, machte es ihr Angst. Nie wieder wollte sie die kleine, dumme, kindische Nina sein aus der Wodka oder Wein sprach. Doch war wirklich alles Ians und Nikkis Schuld? War es wirklich nur der Verlust, der Beiden? Oder war da noch mehr? War sie immer noch verliebt? Erschrocken über diese Erkenntnis, riss sie die Augen auf. War sie wirklich noch in Ian verliebt und deshalb so sauer? Immerhin hatte sie auf ihn gehört. Was allein schon verrückt war und doch zerbrach sie sich jetzt den Kopf darüber. Warum hatte sie ihn in ihre Wohnung gelassen? Eigentlich, zumindest wenn man ihrem Herzen glauben konnte, hätte sie ihm die Tür vor der Nase zuschlagen müssen. Ihr schwirrte der Kopf und das nicht heute zum ersten Mal. Die Kanadierin war nicht mehr verliebt! Ian und sie hatten sich ausgesprochen! Sie wollte ihn nicht mehr. Nicht heute und auch nicht morgen. Warum konnte sie nicht einfach loslassen? Nina hatte sich geschworen, endlich nach vorn zu sehen und nicht auf das was hinter ihr lag. Etwas entschlossener setzte sie sich wieder gerade hin und stellte überraschend fest, das Ben zur Kaffeemaschine gelaufen war. Die Brünette war so in Gedanken versunken gewesen, dass sie nicht einmal mitbekommen hatte, wie der Brite sich von ihr entfernt hatte. Normalerweise, würde sie jetzt eine Runde joggen gehen, denn sie hatte sich geschworen, wenn die Gedanken wieder einmal zu viel wurden, würde sie sich die Laufschuhe anziehen und rennen. Rennen bis sie nicht mehr atmen konnte und damit auch nicht fähig war einen Gedanken zu fassen. Sie rannte also vor ihren Problemen davon. Wobei sie ja nicht einmal wusste, was genau ihr Problem war? Ian? Einsamkeit? Eifersucht? Langeweile? Frust? Nun vielleicht lag genau da ihr Problem, sie wusste nicht, was ihr Problem war? Nina war sich so sicher gewesen, den Grund gefunden zu haben, warum sie so abgestürzt war aber jetzt machte sich Unsicherheit in ihre breit, ob sie nicht die ganze Zeit falsch lag. Eigentlich war sie sich über gar nichts mehr sicher. Ihr eigen Gedanken brachten sie durcheinander und dabei hatte sie sich ein so klares Ziel gesetzt. Nicht mehr in alte Muster verfallen und nach vorn sehen. Doch immer wieder gingen ihre Gedanken in die Vergangenheit, zu ihren Fehltritten und nicht zu dem was sein könnte. Nina entschloss sich zumindest für jetzt, auf das hier zu konzentrieren, denn eine Freundschaft zu Ben, wäre etwas, dass sie wertschätzen würde. Doch so weit würde sie noch nicht denken, sie war froh, dass er ihre Entschuldigung angenommen hatten. Einen Schritt nach dem anderen, so stolperte sie nicht wieder und griff zu alten Hilfsmitteln um ihr Leben in den Griff zu bekommen. Nina wusste, dass sie nichts erzwingen konnte und nicht immer alles so laufen würde, wie sie es gern hätte. Lachend, und dankbar für die Ablenkung, drehte sie ihren Kopf zu dem britischen Schauspieler. "Na wunderbar, jetzt hast du mein Weltbild von Briten vollkommen zerstört und da dachte ich immer, ihr trinke es wie andere Wasser." Nina mochte sein Lächeln, es war irgendwie ansteckend. In Ben steckte so viel mehr und sie war froh, jetzt vielleicht herauszufinden, wie er wirklich war, ohne ihr dummen Vorurteile. Dass Ian ein kurzes Gesprächsthema werden würde, war überraschend für sie. "In diesem Haus kann aber auch nichts passieren ohne, dass die Nachbarn es wissen." Sie nuschelte es vor sich hin aber sicher war es laut genug, dass es auch Ben hörte. "Ian war da um mir den Kopf zu wachen. Von einem ehemaligen Alkoholiker zu einem baldigen Alkoholiker und auch, wenn ich es nicht gern zugebe er hatte recht. Ich habe mich an die Vergangenheit geklammert und mich an einen Schmerz gehangen, denn keiner vertreiben konnte. Und jetzt weiß ich, dass ich nie die Antwort bekommen werde die diesen Schmerz stillt. Ich muss es akzeptieren und draus meine Konsequenzen ziehen. Gewisse Dinge lassen sich nicht ändern, so schmerzvoll sie auch sind." Nina redete einfach los, weil sie Ben erklären wollte, warum sie so einen unausstehlich Zicke gewesen war. "Ian war da, wir haben geredet und jetzt schau ich nach vorn, er war also nach allem immer noch zu etwas gut." Die Kanadierin meinte es ein wenig Scherzhaft. Sie hatte so etwas wie ihren Frieden mit Ian geschlossen. Nikki dagegen war ein anderes Thema, schließlich hat sie bis heute nicht ein Wort an Nina gerichtet. Sie nahm es hin und würde auch irgendwann damit abschließen. "Versteh mich nicht falsch, er ist nicht der Grund warum ich hier bin, er ist der Grund warum ich angefangen haben klar zu denken." Ben sollte nicht denken, dass Ian der alleinige Grund war, warum sie heute hier saß.
Nervös biss sie sich auch die Lippe, als das Gespräch zu ihren Cupcakes ging. Backen, war ein Hobby, dass sie in letzter Zeit schleifen lassen hatte. Also wusste die Schauspielerin nicht genau, wie sie schmecken würden. Sie hatte den Teig gekostet und für sie war er perfekt aber viele meckerten, dass es zu wenig Zucker sei oder Zuckerersatz nicht schmeckte. Nina versuchte ein gesundes Leben, mit gesunden Sünden, zu führen, allein schon weil sie immer schlank sein musste. Hollywood eben auch wenn die Glitzerwelt es gern anders darstellte, so waren Schauspielerin, die nicht den Standardmaßen entsprach rar gesiedelt in ihrer Branche. Schön, schöner, am schönsten. Das war das Motto in Hollywood, allein schon weil die Welt da draußen genau dies sehen wollte. Man wollte Perfektion, schließlich musste man sich zu Hause schon dem grauen Alltag stellen. Sie verdient ihr Geld damit, Träume zu verkaufen von Menschen die ein "normales" Leben führten und nicht verlernt hatten sich nach mehr zu sehnen. Wieder musste sie lachen. "Notiz an mich Cupcakes ja und wilde, laute Party nein." Lachend nahm sie sich nach ihm einen Cupcake. Der erste Biss war immer der beste und ja Nina stellte fest, das Backen hatte sie nicht verlernt. Der kleinen bunte Cupcake hatte weder zu viel, noch zu wenig Zucker. Die Schauspielerin hatte versucht nur die besten Zutaten zu besorgen, was nicht automatisch hieß, dass sie teuer waren. Nach dem zweiten Biss, landete er auf dem kleinen weißen Teller vor ihr, damit sie einen Schluck vom Kaffee nehmen konnte. Ein kleines Stöhnen huschte über ihre Lippen, als sie den Kaffee trank. "Ich schlag die was vor, ich gebe dir so viel Gebackenes wie du willst, wenn du mir literweise Kaffee gibst." Was auch immer sein Geheimnis war, sie wollte es wissen oder vielleicht doch nicht, dann hatte sie immer eine Ausrede zu ihm zu kommen und um Kaffee zu betteln. Mit einem Lächeln auf den Lippen nahm sie einen weiteren Schluck, ja er war verdammt gut. Ninas Laune sankt etwas, als sie auf Jules zu sprechen kamen. Nicht weil sie Streit mit Jules hatte, sondern weil ihre beste Freundin immer wieder nach ihr aufgeräumt hatte. Damit meinte sie nicht allein ihre Wohnung, auch die nicht sichtbaren Scherben hatte Jules für sie bereinigt. Die Kanadierin hatte der Tänzerin so viel zugemutet, dass Nina ihr für immer dankbar sein würde. Nie wieder konnte sie es gut machen. Doch ihr Absturz oder besser ihre Abstürze hatten ihr gezeigt auf wen sie sich wirklich verlassen konnte. Freundschaften waren zerbrochen. Doch waren das je wirkliche Freundschaften gewesen? Ihre Ausfälle hatten also auch etwas Gutes gehabt, sie hatte nicht nur sich aufgeräumt, sondern auch ihr Umfeld. Was brachten ein viele Menschen, die mit einem feierten, aber nie da waren, wenn man am Boden lag. Nichts. "Jules hat mir eine Menge erspart und ich habe es ihr sicher nicht einfach gemacht. Ich war unausstehlich und so kindisch. Gott wenn ich heute so darüber nachdenke..." sie vergrub ihr Gesicht in ihren Händen und dann in dem roten Rock ihres Kleides. Um so mehr sie darüber nachdachte umso mehr Bilder schossen ihr in den Kopf. Im nüchternen Zustand wollte man nur noch im Boden versinken, betrunken war es lustig. "Oh Gott ich wünschte ich könnte die Zeit zurückdrehen." Ihre Stimme war nur dumpf zu hören wurde sie von dem vielen roten Stoff ihres Kleides verschluckt. Mit roten Wangen erhob sie ihren Kopf und blies sich eine braune Strähne aus dem Gesicht. So vieles war passiert, was sie heute mit Scham und zu tiefst bereute. "So schnell geb ich keine Party mehr. Wahrscheinlich nie wieder." Nicht nur wahrscheinlich, sondern tatsächlich. Alkohol war komplett von ihrer Liste gestrichen. Nie wieder auch nur einen Schluck.
Bens Humor gefiel Nina, es lenkte sie ab, um wieder zu viel nachzudenken. Wie er es ihr sagte, atmete die junge Frau tief durch und blickte ihn dann ernst an. "Danke. Dafür, dass du es ausgehalten hast. Danke, dass du meine Entschuldigung annimmt aber der größte Dank gilt, leider, für den Kaffee damit kannst du jede Frau schwach werden lassen." Natürlich war ihr aufgefallen, wie sehr sie selber die Anwesenheit von Ben genoss und das überraschte Nina dann doch. Denn eigentlich war er immer derjenige gewesen, mit dem sie sich am meisten angelegt hatte, wenn es um ihre wilden Partys und die Polizei ging. Sie hatten sich nicht nur einmal, heftige Wortgefechte geliefert und doch saßen sie jetzt hier und rissen Witze miteinander. Wer hätte das noch vor ein paar Wochen ahnen können? Wenn sie kurz ohne tiefgründig nachzugraben darüber nachdachte, fühlte sie sich in seiner Anwesenheit so wohl, wie schon lang nicht mehr. So britisch er vielleicht war, ohne Vorurteile zu haben, so anderes war er auch. Der Brite war nicht der Mann, für den sie ihn gehalten hatte. Doch was konnte man auch schon von einem Menschen wissen, dem man meist nur in betrunkenem Zustand getroffen hatte? Alle Bilder von Ben waren voller Vorurteile oder kindische Anschuldigungen gewesen. Eigentlich musste sie es dem britischen Schauspieler hoch anrechnen, dass er ihr überhaupt die Tür aufgemacht hatte. "Du hättest die Tür gar nicht aufmachen müssen. Ich an deiner Stelle hätte es vielleicht gemacht." Ehrlichkeit, auch etwas, dass sie sich angewöhnen musste, war die beste Basis für eine Freundschaft. Nina, so wusste sie es jetzt, musste es niemanden recht machen, nur sich selber. Sie musste niemanden gefallen und sie musste sicher niemanden davon überzeugen, wer sie als Person war. Die Kanadierin war nicht nur Schauspielerin, nein sie war auch ein Mensch aus Fleisch und Blut. "Aber jetzt mal etwas anderes, wie lief das Essen mit deiner Mutter und hab ich schon meine Töpfe wieder?" Lachend blickte sie ihn an, Nina wollte nicht nur über ihr Fehltritte reden, sondern einfach Frieden und Freundschaft mit Ben schließen.