28.12.2020, 12:10
"Du redest von Harry und mir wie von zwei chemischen Stoffen, die bei Zusammenführung die ganze Menschheit ausrotten könnten!" Cara war nun wütend, das war nicht zu übersehen und auch nicht zu überhören. Margot biss sich auf die Unterlippe. Besonders ausgelassen war die Stimmung zwischen den beiden Frauen an diesem Abend noch nie gewesen – doch jetzt konnte man die Stimmung wohl am besten mit dem Wort 'Eiswüste' beschreiben. Einen Moment lang zweifelte die Blondine. Cara war jetzt sauer und – wie Margot vermutete – auch traurig. Cara hatte ihre Wunden provisorisch mit Pflastern verarztet gehabt. Die Australierin hatte diese Pflaster zunächst ohne Gnade abgerissen und dann auch noch mit ihrem Zeigefinger genüsslich in den Wunden herum gebohrt. Vielleicht hätte sie erstmal die Klappe halten und das Thema 'Harry' dann zu einem anderen Zeitpunkt nochmal ansprechen sollen. Immerhin ... Jetzt war die Stimmung im Eimer und Cara sauer auf sie. Großartig! Das hatte Margot nie und nimmer bezwecken wollen! Sie hatte ihre Freundin doch einfach nur warnen wollen! Wirklich toll gemacht! Margot war jemand, der oft sagte, was er dachte. Und grundsätzlich war das immer okay für sie. Sie hatte sich noch nie gewünscht ein scheues Mäuschen zu sein. Doch wenn man so geradeheraus war, dann überspannte man den Bogen manchmal auch. Dann verletzte man zum Beispiel Leute, die das gar nicht verdient hatten. Und vielleicht war das nun auch so eine Situation. Margot hatte eine große Klappe, aber sie hatte auch ein großes Herz und das war ganz sicher nicht aus Stein. Ein Teil von ihr wollte nun also wirklich beschwichtigend 'Hey, tut mir leid, echt!' murmeln und schnellstmöglich das Thema wechseln, um die Lage nicht noch schlimmer zu machen.
Doch das hielt nur einen kurzen Moment lang an, denn ein anderer Teil der Australierin nahm Caras emotionales Gebaren sogar als einen triftigen Grund, um mit diesem Brecheisen-Verhalten weiterzumachen. Denn umso länger Margot in Caras finstere Augen sah, umso klarer wurde ihr, dass die Londonerin jetzt wirklich eine ehrliche Freundin brauchte. Denn ja, Margot hätte die Britin jetzt auch abfüllen und in Watte packen können. Das wäre leicht und angenehm gewesen. Vermutlich sogar echt lustig. Für alle Beteiligten. Es hätte die Stimmung aufgehellt und die ganze Situation verbessert. Aber hätte es die Situation wirklich verbessert? Die Situation auf der Party sicherlich, doch es gab ja auch noch eine Welt abseits dieses Strandes. Und genau darum ging es. „Vielleicht rottet ihr zusammen nicht die ganze Menschheit aus, aber wenn ihr miteinander reagiert, dann kommt es früher oder später immer zu einer Explosion – und dabei nehmt ihr beide dann immer selber Schaden! Zwei Menschen, die verletzt werden, das ist vielleicht nicht gleich so dramatisch wie wenn die ganze Menschheit ausgerottet wird, aber es ist auch schon schlimm genug!“ entgegnete Margot. Ihre Stimme war angeschwollen und sie wirkte wie jemand, der keinen Millimeter von seinem Standpunkt abweichen würde. Weil sie so auch war. Ihre Zweifel von gerade eben waren verschwunden. Cara brauchte jetzt niemanden, der nachgab und das tat, was angenehm war. Richtige Freundinnen waren auch dann da, wenn die Party ein Ende gefunden hatte. Sie hörten zu und erteilten Ratschläge. Auch solche, die man vielleicht gar nicht hören wollte. Ehrlich Ratschläge. Brutal ehrliche Ratschläge, wenn es sein musste. So eine Freundin brauchte Cara jetzt und so eine Freundin musste und würde Margot jetzt sein! Es war nicht immer leicht so eine Freundin zu sein. Manchmal war es sogar eine ziemlich unangenehme Sache. So wie auch jetzt. Denn jetzt verletzte sie Cara vielleicht (noch mehr). Aber falls sie die Britin verletzte, dann tat sie es nicht, weil sie vorlaut war, sondern weil sie ihr die Augen öffnen musste. Ja, es war notwendig! Margot wusste, dass diese eventuell brutale Vorgehensweise letztlich das Richtige war. Vielleicht würde es jetzt blöde Sprüche und finstere Blicke hageln, doch damit würde sie klarkommen müssen. Für echte Freundin hielt man die Eiswüste doch auch noch ein kleines Bisschen länger aus, nicht wahr?
Wie Margot es sich schon gedacht hatte, reagierte die Engländerin nicht gerade mit Jubelrufen auf die Ehrlichkeit der Blondine. Aber, immerhin, öffnete Cara sich ein wenig für das Gespräch. Oder so interpretierte Margot die dann folgenden Worte ihrer Freundin zumindest. "Gib mir ein Mittelchen, dass mich ihn vergessen macht und ich schlucke es Tag und Nacht" Die Australierin ließ die Schultern hängen. Klar, Cara suchte sich diesen Zustand nicht aus. Sie war wie eine Gefangene in einem Gefängnis, welches Harry unabsichtlich errichtet hatte. Dort saß die Britin, eingesperrt im Hochsicherheitstrakt. Margot verzog das Gesicht. „Ach, Süße!“ Eine Welle aus Mitleid brach sich über ihrem Kopf. Margot legte freundschaftlich den Arm um Cara, die ihr plötzlich winzig und zerbrechlich vorkam. Wahrscheinlich wollte Cara das Mitleid der Kollegin gar nicht haben. Sie bekam es trotzdem. Aber nur für einen Moment. Denn Margots Mitleid würde die Britin nicht weiterbringen. Es gab Wichtigeres zu tun als Mitleid auszudrücken. Die Suche nach einer Lösung des Problems war zum Beispiel viel wichtiger!
Wie gewaltig dieses Problem wirklich war, das merkte Margot dann erst nach und nach so richtig. Cara schwärmte nicht nur nach wie vor ein wenig für ihren Ex. Sie jauchzte nicht nur melancholisch, wenn im Fernsehen über ihn berichtet wurde. Oder schluchzte manchmal leise, wenn eines seiner Lieder im Radio gespielt wurde. Da war kein kurzer – wenn auch heftiger – melancholischer Gefühlsausbruch, der dann aber auch wieder so schnell verschwand, wie er gekommen war. Zumindest so lange bis der Vulkan der Emotionen schließlich wieder ausbrach. Wie es aussah ... Nun ... liebte Cara Harry noch immer. So richtig. Dieses ganze Thema stimmte die Britin auf jeden Fall schrecklich hoffnungslos. Und dann war da diese Wut, die Cara Hayley gegenüber empfand. Dieser ... Hass? Allein die Erwähnung des Namens 'Hayley' reichte ja schon aus, um die Engländerin schnauben zu lassen. Da war doch definitiv Eifersucht im Spiel! Also hier ging es nicht um eine simple Schwärmerei oder um das letzte Aufbäumen der Gefühle für den Ex. Hier ging es um die Qualen, die jemand auszustehen hatte, wenn er unglücklich verliebt war. Wenn die Liebe nicht erwidert wurde. Weil das Herz, welches einem gehören sollte, bereits einer anderen Person gehörte. Arme Cara ... Dass die Brünette so empfand, das hatte Margot nicht gewusst. Natürlich war ihr klar gewesen, dass Harry der Britin noch immer nicht egal war. Doch dass Caras Gefühle für ihren Ex noch so stark waren ... Das Mitleid regte sich wieder in der Blondine. Zusammen mit dem Gefühl wirklich dumm zu sein. Wie hatte Margot das nicht mitbekommen können?! Was für eine Freundin war sie eigentlich?! Verdammt, verdammt, verdammt!
Doch weder Margots Mitleid, noch ihr Bad im Selbsthass würden Cara jetzt helfen. Also verdrängte die Australierin auch diese Gefühle so gut es ging. Sie konzentrierte sich auf das Problem und versuchte eine Lösung zu finden. Die Blondine legte den Kopf in den Nacken und sah in den violetten Abendhimmel. Der Mond hing blass über ihrem Kopf. „Vergiss den Himmel, der voller Engel und Geigen hängt.“ murmelte sie. Margot selber hatte selbst die Drinks mittlerweile fast vergessen. Die Erdbeerschönheit hatte sich mittlerweile für ein Getränk entschieden und so machte die Blondine ein paar Schritte auf den Baarkeeper zu und orderte ein Wasser. Sie kam sich dabei jedoch wie eine Schlafwandlerin vor, die sich gar nicht bewusst bewegte. In Gedanken war Margot noch nicht mal mal mehr auf dieser Feier. Man konnte viel über sie sagen. Sie war vorlaut und ungestüm. Manchmal albern und nahm die Dinge nicht so ernst, wie man das vielleicht sollte. Aber sie war eine gute Freundin. Manchmal eine schreckliche dumme Freundin, ja, aber sie gab sich Mühe. Und so wollte sie Cara jetzt helfen. Margots Kampfgeist war geweckt worden! Es musste einfach irgendeine Lösung für das Problem der Britin geben! Der Baarkeeper sah Margot im ersten Moment etwas ungläubig an, als diese ein simples Wasser orderte, nickte dann aber. „Kommt sofort!“ Einen Augenblick später hielt die Australierin das Glas schon in der Hand. Ein Glas voller Wasser, in dem klirrende Eiswürfel schwammen. Die Australierin beachtete es kaum. Sie ignorierte ja sogar die beißende Kälte, die von dem Glas ausging. „Und was möchtest du?“ wandte der Barkeeper sich nun an Cara. Er hatte den Kopf etwas schräg gelegt und schenkte der Schauspielerin ein jungenhaftes Lächeln. Sie möchte von ihrem Ex loskommen. beantwortete die Blondine seine Frage in Gedanken. Doch da würde der Barkeeper nicht helfen können. Bei solchen Problemen half kein Drink. Nicht langfristig. Da half vielleicht eine Konfrontationstherapie und eine solche hatte der Barkeeper sicher nicht im Angebo ... Margot riss die Augen weit auf. Da! Das war die Lösung! Aufgeregt hakte sie sich bei Cara ein und verließ mit ihr die Bar. Ob die Londonerin nun schon einen Drink bestellt hatte oder nicht, das war Margot in dem Moment ziemlich egal. Sie schleifte die Engländerin in eine halbwegs ruhige Ecke, wo die Frauen ungestört reden konnten. „Du musst mit ihm reden!“ verkündete die Schauspielerin. „Mit Harry! Du musst ihm von Angesicht zu Angesicht reden und ihm ins Gesicht sagen wie du fühlst und seine Antwort aushalten!“ Margots Worte überschlugen sich nun schier. „Ich weiß, es klingt sicher total verrückt! Wer begibt sich schon freiwillig in so eine Situation? Aber vielleicht brauchst du genau das, um endlich damit abzuschließen zu können! Eine finale Konfrontation und dann bist du ein für alle Mal frei von ihm!“ Die Blondine stand hundertprozentig hinter ihrer Idee und hielt sie sogar für den Geistesblitz überhaupt. Nur die Konfrontation mit Harry würde Cara helfen. Er hatte dieses Gefängnis gebaut, nur er konnte es wieder abreißen! Sie und alle anderen konnten Cara tausende Male sagen, dass sie Harry vergessen musste. Das würde nie Etwas bringen. Sie musste es einfach von ihm selber hören. Diese Idee ergab einfach so viel Sinn! Margot sah Cara an und ihre Augen glühten. In ihnen stand eine stumme Bitte geschrieben. 'Bitte, gib dieser Sache eine Chance!'