25.04.2021, 11:00
Kein Mensch würde eine Frau wie dich einfach kampflos aufgeben! Das hatte Paul zu Mélanie gesagt und es auch wirklich so gemeint. Doch wenn er sich jetzt anhörte, was die Blondine so alles über Ben erzählte ... Über Ben und sein fehlendes Interesse an Mélanie ... Dann kamen dem Amerikaner doch so seine Zweifel an seiner eigenen Aussage von gerade eben. Es sollte per Gesetz verboten sein Mél so zu behandeln, doch wie es aussah, hatte der Franzose seine Frau (und seine Ehe) kampflos aufgegeben. Oder der Europäer war zumindest dabei genau das zu tun. Ein dunkler Schatten huschte über das Gesicht des Amerikaners. Paul legte die Stirn in Falten und sah Mélanie aus besorgten Augen an. Der Schauspieler kannte Ben nicht besonders gut. Das hatte der Amerikaner ja gerade selber noch zugegeben. Vielleicht schätze der Schauspieler das Verhalten von Mélanies Ehemann gerade also völlig falsch ein. Überhaupt, wer war er – Paul – denn schon um diesen fremden Mann beurteilen zu können? Paul konnte nicht in Bens Schädel gucken oder Gedanken lesen. Er wusste nicht warum der Franzose so abweisend zu seiner Frau war. Vielleicht hatte er einen guten Grund. Eventuell war da Irgendwas, von dem selbst Mél noch nichts wusste. Hey, vielleicht plante Ben gerade auch eine super tolle Überraschung für seine Frau und seine angeblich kalte Schulter war nur der Europäer wie er total eingespannt war, um die perfekte Überraschung auf die Beine zu stellen. Was wusste Paul schon was in Bens Kopf vorging? Der Amerikaner hatte eigentlich kein Recht sich da eine Meinung zu erlauben. Gedanken wie diese schwirrten durch Pauls Kopf. Der Amerikaner erinnerte sich so kontinuierlich daran, dass Ben ihm praktisch fremd war und dass ein Urteil über ihn dem Schauspieler nicht zustand. Und ganz sachlich und logisch betrachtet stimmte das alles ja auch. Und doch ...
Aber es muss auch mal wieder nur um uns gehen. Um uns als Ehepartner und nicht als Eltern. Aber Ben versteht mich nicht und schafft es sogar, dass ich mich schuldig fühle, nur weil ich ihn vermisse und Zeit mit ihm verbringen will. Als wäre das verwerflich oder zu viel verlangt ... Aussagen wie diese ... Paul schluckte schwer ... Nun ... klangen einfach doch ziemlich danach als hätte Ben wirklich kein richtiges Interesse an der Ehe mit Mélanie mehr. Paul konnte sich gut daran erinnern wie es bei Julie und ihm gewesen war, als sich das 'Wir' langsam in ein 'Du und ich' verwandelt hatte. Der Schauspieler hatte sich mit Händen und Füßen gegen den Gedanken gewährt, dass seine Frau in seinen Augen mehr und mehr zu 'einer guten Freundin' geworden war. Denn diese neue Sichtweise auf seine Frau hatte ihre Ehe gefährdet und damit auch ihren Alltag und den Alltag ihrer Kinder. Und Paul war sicher nicht der einzige Ehemann und Vater auf der Welt, der schon mal in so einer Situation gewesen war und in einer solchen Situation so empfunden hatte. Im Gegenteil. War das nicht normal? Wenn in einer Ehe aus dem 'Wir' ein 'Du und ich' wurde, dann war es höchste Zeit, um an der Beziehung zu arbeiten. Wenn die Ehe ein Tongefäß war, dann war die langsame Verwandlung vom 'Wir' in ein 'Du und ich' ein hässlicher Riss. Ein Riss allein zerstörte das Gefäß noch nicht. Ein einziger Riss – und sei er noch so unästhetisch – war nicht mit einem Scherbenhaufen gleichzusetzen. Doch er erinnerte den Besitzer des Gefäßes daran, dass er in Zukunft aufpassen musste. Kein Baseball mehr im Wohnzimmer! Weitere Risse sollten wirklich vermieden werden. Paul und Julie waren also zur Paartherapie gegangen und sie wären zu Fuß von Brooklyn bis nach Baton Rouge gelaufen, wenn das ihrer Ehe irgendwie geholfen hätte. Bis zum Mond wären sie gemeinsam gereist! Alles, wirklich alles, hätten sie getan um ihre Ehe zu retten. Sie hatten den Riss in der Ehe gesehen und alles Menschenmögliche getan, um den Beziehungs-Scherbenhaufen zu vermeiden. So wie es wohl die meisten Paare in ihrer Situation getan hätten. So wie auch Mélanie an ihrer Ehe arbeiten wollte. Nur Ben zeigte keinerlei Interesse daran an der Beziehung zu arbeiten. Und das obwohl der Franzose, laut Mél, durchaus fleißig an seiner Vater-Sohn-Beziehung mit Leo arbeitete. Faul war der Gatte der Blondine also nicht. Zumindest nicht grundsätzlich. Doch Mélanie hatte oft genug mit ihrem Mann gesprochen und dennoch zeigte Ben der Europäerin die kalte Schulter, wie es aussah. Er sah den Riss im Tongefäß und spielte trotzdem munter weiter Baseball. Also, ja, vielleicht kannte Paul Ben kaum. Doch eventuell musste er Mélanies Ehemann auch gar nicht gut kennen, um zu vermuten, dass der Europäer die Französin und ihre Ehe gerade kampflos aufgab ...
„Ich verstehe dich ...“ meinte Paul. Er bedachte Mélanie mit einem mitfühlenden Blick und einem aufmunternden Lächeln auf den Lippen. Er streckte zögerlich den Arm aus und strich der Blondine fürsorglich über die Schulter. Was sich irgendwie awkward und gleichzeitig auch goldrichtig anfühlte. Der Amerikaner wusste nicht genau was er nun mit seinen Gedanken bezüglich Ben machen sollte. Sollte er Mélanie davon erzählen? Oder doch besser versuchen das Thema zu wechseln? Pauls Mund fühlte sich taub an. Wie nach einem aufwändigen Besuch beim Zahnarzt. So als würden seine Lippen die Worte bezüglich Ben, die durch seine Gedankengänge rannten, nicht formen
„Vielleicht ...“ Paul räusperte sich nervös. „Vielleicht hat Ben immer noch nicht richtig begriffen was er mit seinem Verhalten aufs Spiel setzt.“ mutmaßte der Amerikaner mit gerunzelter Stirn. „Ich will ihn gewiss nicht in Schutz nehmen!“ Der Schauspieler hob abwehrend die Hände. „Eigentlich sollte er es schon längst verstanden haben.“ stellte Paul klar und unterstrich seine Worte mit einem Nicken. „Er sollte dich auf Händen tragen anstatt dir die kalte Schulter zu zeigen.“ Es war ein Fakt. Wie ein Naturgesetz. „Aber vielleicht ...“.