18.07.2021, 09:10
Brudermord war ein etwa so fröhliches Thema wie Parentizid oder Kannibalismus. Kein guter Aufhänger für eine lustige Anekdote. Nichts, über das man mal eben so im Plauderton berichtete. Und doch wünschte sich Billie das Thema 'Brudernord' jetzt regelrecht sehnsüchtig zurück. Die Freundinnen hatten mittlerweile Kristens trautes Heim erreicht – und den Mord an Finneas als Gesprächsthema zum Leidwesen der Jüngeren hinter sich gelassen. Jetzt ging es um London. Noch ging es um London. „Das Wetter in London ist immer scheiße, zieh einfach nur noch 20 Grad von Temperatur ab.“ Kristen war gerade aus ihren schweren Boots geschlüpft. Billie hockte auf dem Boden und zog sich ihre klobigen Turnschuhe aus. Sie sah zu der anderen Amerikanerin hoch und nickte, wobei sie ein eigenartiges Grunzen von sich gab. „Klingt kalt!“ Die Sängerin rümpfte die Nase. So als hätte sie einen unangenehmen Geruch in der Nase. 'Klingt kalt!' Was war das denn bitte für ein komischer Kommentar? Wo war Billies Schnodderigkeit?! Die Sängerin biss die Zähne zusammen. Vielleicht versteckte sie sich ja am selben Ort, wo auch Billies feste Stimme Zuflucht gefunden hatte, dachte die Amerikanerin grimmig. Wenn KStew und Billie sonst aufeinander trafen, dann war es so ... lebendig ... Oder ... Wie auch immer ... Die Freundinnen quatschten dann, sie kicherten und lachten bis ihnen die Bäuche wehtaten. Sie aßen fettigen Mist, waren sarkastisch zusammen und hatten einfach Spaß. Es war wie eine endlose Übernachtungsparty, nur ohne Schlafsäcke und Kissenschlacht und dafür mit mehr Ironie. Doch jetzt ... Jetzt gab es keine Lacher, keine lustig-dummen Kommentare, keine Insider-Witze. Nichts. Nur Billies klammes Unwohlsein bezüglich des neuen Gesprächsthemas. „Kein Wunder, dass die Leute dort so viel heißen Tee trinken.“ Nicht viel besser. Das Mädchen fuhr sich mit der Hand eilig durchs feuchte Haar, welches unangenehm nach Regen roch. Schließlich stand Billie auf, ihre Blicke huschten flackernd über Kristens blasses Gesicht. „Es war schön, wirklich. Nur auch… ziemlich überraschend. Rob’s Eltern kamen spontan vorbei und damit hatte ich einfach nicht gerechnet.“ fuhr Kristen mit ihrem Bericht fort. Sie sagte das so nebenbei. In einem lässigen 'Ach, übrigens'-Tonfall. Sofort danach zeigte die Amerikanerin dann auch noch was für eine gute Gastgeberin sie war. Trotzdem spürte Billie wie sich eine eiskalte Hand in ihrem Magen zur Faust schloss. Neid. Missgunst. Whatever. Was auch immer Billie empfand, sie war nicht stolz darauf. Sie schämte sich dafür. Immerhin ... Scheiße, sie sollte sich für Kristen freuen. Wirklich und aufrichtig und all das. Und irgendwo tat sie das auch. Aber da war halt auch dieser eher dunkle Teil ihres Herzens. Da war die Billie, die gar nicht hören wollte wie toll es London gewesen war. Die Billie, die sich Watte in die Ohren stopfen wollte, um nicht hören zu müssen wie super es bei Robsten gerade lief. Oder die sich die Ohren gleich ganz abschneiden wollte. Van-Gogh-Style, Baby. Die Billie, die sich mit diesem Thema halt wirklich verdammt schwer tat. „Her mit den Skittles.“ brummte die Sängerin. Die Hände tief in den Taschen ihrer Jeans begraben und die Schultern hängend, folgte sie ihrer Freundin schlurfend in die Küche.
Oder zumindest fast bis dorthin. Billie blieb im Türrahmen stehen. Sie lehnte sich cool gegen diesen und beobachtete Kristen dabei, wie die Schauspielerin einen Küchenschrank öffnete. Sicher den, in dem sie die Skittles lagerte. Billie hatte die Arme vor der Brust verschränkt. Die Sängerin dachte nach und war ungewöhnlich schweigsam. Sie hörte wie Kristen im Schrank herumwühlte. Es raschelte ordentlich. Dazu kam das Geräusch des Regens, der ununterbrochen gegen das Küchenfenster trommelte. „Also Robs Eltern sind bei der Party vorbeigekommen.“ Billie betrat nun doch die Küche. In quietschbunten Socken bewegte sie sich lautlos über die schneeweißen Fliesen. Sie zögerte kurz. Blinzelte unsicher. Dann entschloss Billie sich dazu das zu sagen, was sie sagen wollte, auch wenn es vielleicht nicht ganz cool war. „Kristen, hör zu ...“ Die Jüngere seufzte. „Du willst mir doch nicht erzählen, dass Mama R-Patz eine neue Frisur hat, oder? Das ist nicht die Sache, auf die du hinauswillst.“ stellte Billie abgeklärt fest. Die Sängerin bewegte sich noch immer auf Kristen zu. Eine gewisse Ungeduld hatte sich ebenfalls in ihre Stimme geschlichen. Und wie auch nicht? Billie hasste dieses Thema. Die Freundinnen hatten es zwar noch gar nicht richtig thematisiert, doch die Jüngere hasste es jetzt schon. Es war außerdem klar wie Kloßbrühe, dass Kristen auf Irgendwas hinauswollte. Warum konnte die Schauspielerin dann nicht einfach mit der Sprache herausrücken und von der Party schwärmen oder was auch immer es war, was Kristen unter den Nägeln brannte. Billie sah doch wie sehr ihre Freundin strahlte. Ein Atomkraftwerk war ein Scheiß dagegen! Die Schauspielerin war total happy und beschwingt. Der Teenager hatte es im Auto bemerkt und er sah es jetzt. Da konnte K-Stew ihre Freundin tausendmal wie ein rohes Ei behandeln oder was auch immer das hier sein sollte. Das Mädchen war schließlich nicht blöd! Es fehlte doch eigentlich nur noch, dass Kristen spontan zu singen und zu tanzen anfing. Und das war verdammt offensichtlich. Dann sollte sie Billie doch bitte einfach mitteilen was so super war, vielleicht konnten sie ja dann schnell zur Planung von Finneas’ Ermordung zurückkehren. „Irgendwas ist in London passiert.“ meinte das Mädchen fast schon sachlich und nüchtern. Billie stand jetzt hinter ihrer Freundin. „Du willst es mir erzählen und du wirst es mir erzählen. Also tu uns doch beiden einen Gefallen und spar dir die Einleitung und das Vorwort und komm direkt zur Sache.“ War das jetzt etwas zu harsch gewesen? Billies Wagen fingen Feuer. Sie schenkte Kristen ein schiefes Grinsen, welches viel eher an die echte Billie erinnerte als der ernste Roboter von gerade eben. „Bitte!“ Das berühmte Zauberwort. Angeblich noch wirksamer als 'Expelliarmus'.