24.10.2021, 02:35
„Ich weiß nicht, irgendwie …“ Das Mädchen mit den erdbeerblonden Haaren legte den Kopf kritisch zur Seite, was ihren zweifelnden Tonfall noch unterstrich. Die Augen der jungen Frau waren skeptisch zusammengekniffen. Die vollen Lippen, auf denen rosafarbener Lipgloss schimmerte, schmollend verzogen. „Irgendwie …“ Sie gestikulierte mit der Hand. Bunte Reifen klimperten an ihrem Arm. „…Fehlt dem Song noch was.“ Ein leises Seufzen folgte den Worten der Sängerin auf dem Fuße. „Ihr wisst schon. So ein bestimmtes Etwas. Das Boom. Das Wow.“ Die erdbeerblonde Amerikanerin durchforstete ihren Kopf nach einer passenden Beschreibung. Die Stupsnase in ihrem sorgfältig geschminkten Gesicht kräuselte sich. Das Steinchen ihres Nasensteckers funkelte. „Die Magie, die aus einem einfachen Lied eine Aufforderung zum tanzen macht. Eine, die echt niemand ablehnen kann.“ Die Sängerin fuhr sich mit der Hand durch die schulterlange Mähne und nickte, sichtlich zufrieden mit ihrer Erklärung. Gerade noch hatte sie den Blickkontakt zu den Songwritern und dem Toningenieur gesucht, nun ruhte ihr Augenpaar stur auf ihrem Produzenten, einem breitschultrigen Mann, den sie abwartend ansah. Tatsächlich, da war Billie sich ziemlich sicher, galt dieser kleine Auftritt jedoch ihr. Die Amerikanerin stand mit verschränkten Armen an die Wand gelehnt und beobachtete zunehmend genervt dieses Theater. Es war so verdammt offensichtlich. Das erdbeerblonde Mädchen wollte Billie mit ihrer Darbietung beeindrucken. Zeigen, was sie doch für eine coole Person war. Denn bestimmt suchte Beyoncé auch immer nach der Magie, die einen Sturm auf die Tanzfläche unumgänglich machte. Billie verdrehte die Augen. Eigentlich mochte sie ihre Kollegin ja echt gern. Normalerweise hatten die Mädchen immer Spaß zusammen. Sie lachten viel und über allen möglichen Scheiß. Aber heute … Heute war Billies Freundin wie ausgewechselt. Jedes Wort hatte so einen gekünstelten Unterton. Als wäre das alles nur gespielt. Dabei war das Mädchen selbst leider keine Oscar-verdächtige Schauspielerin und ihr Drehbuch ließ halt auch zu wünschen übrig. Sie sprach nicht wie eine Sängerin, sie sprach wie jemand, der glaubte, dass eine Sängerin sich so anhörte. Wie jemand, der zu viele Biopics über Musiker, aber noch nie einen echten Musiker gesehen hatte. In Klischees und leeren Phrasen. All das nervte Billie. Sie hatte sich diesen Nachmittag im Studio ursprünglich spaßig vorgestellt. Die Amerikanerin selber arbeitete gemeinsam mit ihrem Bruder in einem kleinen Bedroom Studio an ihrer Musik. Die Vorstellung mit einer Freundin ein Tonstudio wie dieses hier ein wenig unsicher zu machen (natürlich ohne die Recording Session komplett an die Wand zu fahren), hatte also schon ihren Reiz gehabt. Doch statt Albernheit und Schabernack musste der Teenager sich nun mit einer Kollegin rumärgern, die so viel cooler gewesen war, als sie noch nicht krampfhaft versucht hatte cool zu sein.
Der Produzent hatte mittlerweile seine hohe Stirn in Falten gelegt und nickte. „Ich weiß was du meinst. Vielleicht sollten wir uns den Refrain nochmal vornehmen.“ meinte er nachdenklich. Wahrscheinlich dachte er schon darüber nach wie genau man dem Song besagte Magie am besten injizieren konnte. Die rotblonde Sängerin strahlte ihn mit leuchtenden Augen an. „Oh mein Gott! Der Refrain! Genau das habe ich auch gedacht!“ quietschte sie. Sie warf einen Seitenblick zu Billie, dann klebten ihre Blicke wieder an dem bulligen Produzenten mit der Basecap auf dem Kopf. Das 'Oh mein Gott! Der Refrain! Genau das habe ich auch gedacht!' im Chipmunk-Stil war zu viel für die Musikerin. Sie konnte förmlich spüren wie die kalte Kotze ihren Hals hochkroch. Der Teenager behauptete also echt dringend aufs Klo zu müssen, entschuldigte sich und verließ dann eilig den Raum. Ob man der Musikerin den Toiletten-Vorwand wohl abnahm? Wahrscheinlich nicht, Billie hatte sich nicht gerade viel Mühe gegeben, als sie ihre Lüge vorgebracht hatte. Doch wen interessierte das? Die Sängerin selbst zumindest nicht.
Die Hände in die Taschen ihrer Baggypants geschoben schlenderte die Amerikanerin ziellos durch das Gebäude. Eine Weile war das recht kurzweilig, doch dann setzte die Langweilige ein. Zum Glück drang dann Musik und der Klang von Stimmen an Billies Ohr, die da gerade mit leicht hängenden Schultern den Flur entlang schlurfte. Sie hielt inne und spitze die Ohren. Hey! Das hörte sich doch ganz spaßig an! Ein wenig wie der Nachmittag, den die Sängerin sich vor ein paar Stunden noch ausgemalt hatte. Okay, vielleicht nicht ganz so. Aber es klang auch nicht nach affektierter Kacke und dafür nach dem Ende der Langeweile und das reichte Billie in dem Moment vollkommen aus. Kurzerhand riss sie die Tür des Studios, aus dem die Geräusche kamen, auf und trat ein.
Schnell wurde die Musik ausgemacht und Billie sah in die überraschten Gesichter von drei jungen Männern, welche in dem Augenblick irgendwie eher ein wenig an Schuljungen erinnerten, die irgendwas ausgefressen hatten und nun versuchten ihre Schandtat zu verbergen. Was die Drei wohl angestellt hatten? Billies Blick fiel schnell auf den provisorischen Aschenbecher. Der Rauch des Joints kräuselte sich und stieg zur Decke empor. Der Teenager grinste von einem Ohr zum anderen. Ha! Ertappt! "Hey." Billie drehte den Kopf zu dem Mann, der sie gerade angesprochen hatte und musterte ihn. G-Eazy. Die Amerikanerin kannte ihn – oder vielmehr seine Musik. "Was können wir für dich tun? War die Musik zu laut?" während Gerald sprach glitten Billies Blicke noch immer über ihn. Er war … 'Süß' war das falsche Wort. Der Mann war ja schließlich keine japanische Zeichentrickfigur. Er war genau das. Ein Mann. Attraktiv. Auf so eine etwas schnoddrige Weise. Wie er so dasaß. Cool und lässig als würde die Welt ihm gehören und als wäre ihm selbst das irgendwo egal. Gerald stellte sich und seine Mitstreiter nun vor. Die Amerikanerin mochte das Lächeln, welches seine Lippen dabei umspielte. Es wirkte ehrlich. „Billie. Freut mich euch kennenzulernen.“ Die Sängerin grinste in die Runde und meinte ihre Worte durchaus ernst. „Und keine Sorge. Die Musik war nicht zu laut.“ der Teenager schüttelte den Kopf. „Es ist alles in Ordnung. Ich bin eigentlich mit einer Freundin hier, aber besonders viel Spaß macht es gerade nicht mit ihr, also habe ich nach einem Ort gesucht, an dem man etwas mehr Spaß haben kann.“ Zielstrebig ging Billie auf Gerald und den Möchtegern-Aschenbecher zu. „Und anscheinend habe ich diesen Ort hier bei euch auch gefunden.“ schmunzelnd fischte sie den Joint aus der kleinen Schale. Sie klemmte ihn zwischen ihre Lippen und nahm einen tiefen Zug. So als wäre es das Selbstverständlichste der Welt. Die Amerikanerin nahm keine harten Drogen, aber ein bisschen Gras so hier und da … Gehörte ein wenig Weed nicht schon fast zur Grundausstattung eines Teenagers? Zusammen mit dem Smartphone und der obligatorisch schlechten Laune. Unschuldig-süß lächelnd hielt Billie Gerald den Joint hin. „Du willst ihn doch nicht etwa umkommen lassen, oder?“ Sie lachte bis ihr Lachen in ein Kichern überging. Dann schüttelte Billie den Kopf und schnalzte gespielt tadelnd mit der Zunge. „Was für eine Verschwendung das wäre!“