14.11.2021, 08:30
Jennifer starrte Daniel noch immer ungläubig an. Fast so als hätte sie einen Geist und keinen Kollegen vor sich. Es fehlte eigentlich nur noch, dass die Augen der Schauspielerin aus ihren Höhlen hüpften und die Kinnlade der Blondine bis auf den Fußboden herunterklappte. Wie in einem Zeichentrickfilm. Wie bei den Looney Tunes. Riesengroße Augen und wilde Gesichtsakrobatik. So sah doch garantiert des Öfteren Wile E. Coyote aus, wenn ihm bewusst wurde, dass einer seiner eigentlich ach so gerissenen Pläne mal wieder nicht aufgegangen und der Road Runner dem Kojoten ein weiteres Mal entwischt war. Ja, so sah Wile E. Coyote fassungslos aus der Wäsche, kurz bevor ein Amboss mit einem komödiantisch lauten Knall auf dem Kopf des Pechvogels landete und so schließlich auch das Ende der gerade gezeigte Folge einleitete. Hach … Für einen gezeichneten Kojoten mochte das okay sein. Passend sogar. Seit Dekaden brachte der gute Wile so kleine und große Fans zum lachen. Aber für eine junge Frau aus Fleisch und Blut, die einem Kollegen gegenüberstand? Langsam wurde das hier peinlich! Tatsächlich dauerte Jens Schockstarre keine volle Minute an, doch für sie war dies eine peinliche Ewigkeit, die sich wie Kaugummi zog und immer unangenehmer wurde. Jen schluckte Ihr Mund war plötzlich trocken und ihre Zunge bleischwer. Sonst gar nicht um Worte bescheiden, wusste die Amerikanerin nicht was sie sagen sollte. Wie sie die Situation auflockern sollte. Klar, mit einem frechen Spruch oder einem Witz, doch sowas musste einem erstmal einfallen! Und in diesem ersten Moment brachte Jennifer ja noch nicht mal ein untypisch gepiepstes 'Hi!' hervor. Von irgendeinem schlagfertigen Kommentar mal ganz zu schweigen! Warum dem so war? Am liebsten hätte die Schauspielerin resigniert seufzend den Kopf in den Nacken gelegt. Nun, ein Grund für das Schweigen der Lawrence war tatsächlich die Überraschung darüber jetzt nicht Alex hier zu sehen. Jen hatte sich darauf gefreut den jungen Briten richtig kennenzulernen und mit ihm zu arbeiten. Er gehörte zu diesen Kollegen, die Zeitschriften gerne mal als 'frisch' und 'unverbraucht' bezeichneten. Das war natürlich irgendwo schon auch nur eine schöne Art, um zu sagen, dass niemand sie kannte. Allerdings hatten solche Kollegen oft auch eine eigene Außenseiter-Perspektive, Sichtweise und Herangehensweise, was auch ihre Arbeit beeinflusste. Sie waren teilweise (zumindest noch) unverfälscht(er) und nicht so eitel. Mutiger. Was die Zusammenarbeit mit ihnen sehr spannend machen konnte. Und Alex hatte zumindest wie jemand gewirkt, der sich nicht so sehr um den ganzen Hollywood-Zirkus scherte. Der noch Risiken eingehen wollte. Es war natürlich schwer zu sagen, denn die Blondine kannte nur Schnipsel von Alex' Arbeit und ihn nur als Jungen, der einen von einem Computerbildschirm entgegen lächelte. Und wie sporadisch war der Kontakt der Kollegen gewesen! Dennoch hatte den Briten diese rebellische Aura umgeben wie ein phosphoreszierendes Licht – und er hatte, Hand aufs Herz, auch einfach einen netten Eindruck gemacht. Wie ein cooler Type gewirkt. Sein Fernbleiben hier war daher also schon wie eine platzende Seifenblase für die Blondine. Kurzum: Jens geschockte Überraschung drehte sich um Alexander Esmail. Aber halt nicht nur. Sie drehte sich auch um Daniel höchstpersönlich…
Jen spürte nun wie sich die irritierten Blicke der Produktionsassistentin in ihre Seite bohrten. Aus den Augenwinkeln sah Jennifer außerdem, dass die buschigen Augenbrauen der Frau eine gerade Linie ergaben. Und auch Daniels leuchtend blaue Augen schienen die Blondine mit Blicken zu fixieren. Der jungen Frau wurde warm. So als würden Scheinwerfer und keine Augenpaare die Amerikanerin anstrahlen. Ein rosa Farbton kroch die Wangen der Schauspielerin hinauf. Die Amerikanerin fühlte sich auf eine unangenehme Weise an ihre Schulzeit erinnert, DIE Zeit der Peinlichkeiten schlechthin. Da half es auch nicht, dass Dan das Wort ergriff und scherzte. "Ich habe sie bereits erwartet Miss Lawrence!" Sie wünschte sie hätte darüber lachen oder zumindest kichern können, aber kein noch so kleiner Lacher rollte über Jens ungeschminkte Lippen. Eine ganze Weile war kein Ton von ihr zu vernehmen. Sag endlich was! zischte eine innere Stimme dann allerdings harsch und beendete so die Schockstarre der Amerikanerin. „Jetzt brauchst du nur noch paar Jahre mehr auf dem Buckel und eine echte Katze und dann bist du ein vorzeigbarer Blofeld.“ murmelte die blonde Amerikanerin. Es hätte ein Witz sein können, doch es klang leblos und mechanisch und so ging jeder Humor und jeder Esprit vollkommen verloren. Die Blondine versuchte sich an einem schiefen Grinsen. Der Versuch sah so aus als hätte Jen einen eigenartigen Krampf in den Lippen. Weder Daniel noch sonst eine anwesende Person kommentierte irgendwas davon. Jennifer dankte ihnen im Stillen für diesen Akt der Gnade. "Harry Potter und Katniss Everdeen in einer Serie. Es wirkt fast ein bisschen wie die Fanfiction einer 14-jährigen." fuhr Daniel fort als wäre nichts gewesen. „Bestimmt gibt es das als Fanfiction einer 14-jährigen.“ meldete sich jemand glucksend zu Wort. Jen fuhr herum und sah in das grinsende Gesicht von Patton Oswald. Warum und wie auch immer es geschah, Pattons Anwesenheit erinnerte Jen auf effektive Weise daran wo sie hier war. Sie war bei der Arbeit an einer Serie und es war höchste Zeit sich auch so zu verhalten! Höchste Zeit wieder Jennifer Lawrence zu sein! Sie riss sich zusammen, was jetzt überraschend gut klappte. „Dann wissen wir ja jetzt nach was wir in der nächsten Pause bei Archive of Our Own suchen werden.“ entgegnete Jen. Sie klang nun wieder selbstbewusster und präsenter. Sie war zurück im Hier und Jetzt. Die Blicke der Amerikanerin wanderten zwischen Patton und Dan hin- und her. Ihre Lippen waren zu einem schlagfertigen Lächeln gekräuselt. Was hatte Jennifer gerade nur gehabt? Es musste der erste Schock gewesen sein. Ja, zugegeben, auch jetzt war die Vorstellung mit Daniel zusammenzuarbeiten eigenartig. Awkward. Aber doch kein Grund wie ein Reh im Scheinwerferlicht einzufrieren! Nein! Sie waren doch beide schon so lange in diesem Business tätig. Daniels Gefühle für die Schauspielerin würden wenn überhaupt nur für den Briten ein Problem sein. Das zumindest versuchte Jen sich einzureden. Ihre Aufmerksamkeit galt jetzt ganz dem Londoner. Wieder beschlich sie das Gefühl, dass diese Situation ein wenig so war wie unerwartet auf einen Ex-Freund zu treffen, der nach längerer Abwesenheit wieder ein Teil der alten Clique sein wollte. Es war sperrig. Und man würde doch auch nie einfach nur Freunde sein können. Man war nicht einfach nur Freunde. Da war mehr. Irgendwas zwischen ihnen. Unausgesprochnen und unsichtbar, aber doch da. Die Blondine scheuchte diese Gedanken rasch aus ihrem Kopf. So ein Quatsch! Sie war nur nervös wegen der Serie! „Du bist also unser neuer Edward Gladstone.“ meinte die Blondine dann. Ihr Blick ruhte noch immer auf dem Dunkelhaarigen und Jens Lippen formten die Worte so langsam als wüsste die Blondine noch nicht so ganz was sie davon halten sollte. Die Amerikanerin legte den Kopf etwas schräg und musterte Dan einige Momente lang schweigend. Dann nickte sie. Ein kleines Nicken. Dann ein weiteres und noch eins. „Doch, ja.“ Jennifer lächelte aufrichtig und das Lächeln erreichte ihre Augen. „Ich kann es sehen.“ Und das meinte die blonde Amerikanerin ganz ernst, das konnte sie wirklich.