01.07.2020, 10:43
Michelle starte den ekligen Kaffee eine Weile an. Sollte sie je wieder zu einer Runde kommen, würde sie für alle Kaffee mitbringen, dieser hier war ja reine Folter. Er brannte sich die Kehle hinab und lag schwer im Magen aber es konnten auch die furchtbaren Kekse sein. Wer immer sie gebacken hatte, sollte dieses Hobby aufgeben. Mit einem schiefen Lächeln schaute sie zwischen Keksen und Kaffee hin und her, überlegte sich aber gleichzeitig wie sie beides unauffällig verschwinden lassen konnte, ohne Lebensmittelvergiftung. Wer bot solche schreckliche Sachen an? Schnell aber sicher weniger unauffällig stellte sie sich hinter Ian und warf die Sachen weg. "Das ist ja schon fast Körperverletzung." Sie schüttelte den Kopf bevor sie sich wieder zu Ian stellte. Es war verrückt, da hatte sie diesen Mann so lang nicht gesehen und doch verstanden sie sich auf Anhieb. Aber die Texanerin hatte nie Probleme sich mit Männer zu verstehen. Frauen waren dagegen eine Sache für sich. Michelle war nicht die normale Frau. Sie brauchte keine schicken Kleider, oder Make-up oder hohe Schuhe. Sie fühlte sich am wohlsten in Hosen und Turnschuhen. So war sie eben und so würde sie auch immer bleiben. Ihr war durchaus klar, dass man sie liebte oder hasste, ein dazwischen gab es nicht. Sicher hatte sie auch ihr Macken und Gott allein wusste, dass sie Dinge in ihrem Leben gemacht hatte, die sie bereute. Doch heute war sie genau deswegen die Person, die sie war. All ihre Fehler, all ihre Tränen und all ihr Lachen hatte sich gelohnt. Heute war sie ganz zufrieden mit sich, sicher könnte es ein wenig besser laufen aber sie hatte ihre Tochter, sie hatte einen Beruf und ein Dach über den Kopf. So gesehen war sie glücklich. Mit einem Nicken lächelte sie ihm zu. "Es ist nicht so, dass ich sie lese aber sagen wir, meine Familie liest sie gern. Und dann geht es los. Ist das wahr oder das?" Sie blies sich eine Haarsträhne aus dem Gesicht und schaute ihn wieder an. "Würde ich alles glauben, was über mich geschrieben wird, dann hätte ich ein sehr aufregendes Leben gehabt." Manchmal las sie auch die Presse und lachte gern. Wo kamen nur immer all die Lügen her und wieso glaubten alle was geschrieben wurde. Ein Thema, mit dem sich Michelle schon einmal versucht hatte, bevor sie die Presse ignorierte, auseinander zu setzten. Die Mutter einer Tochter hatte versucht dahinterzukommen, wo all die Schlagzeilen herkam. Wer diese sogenannten Freunde waren. Doch wie es nicht anders zu erwarten war, hatten sie schnell aufgeben. Nicht weil sie keine Lust mehr hatte, sondern weil es sich schwieriger herausstellte, als gedacht. Heute suchte sie sich genau aus, wer ihre Freunde waren und blieb so privat wie sie in Hollywood eben ging. Nicht für sich, aber für ihre Tochter. Sie sollte sicher nicht zu einer Schlagzeile werden. Die Schauspielerin würde alles tun, um ihre Tochter zu beschützen, besonders hier in L.A. Bis heute gab es kaum Fotos von Aya, dafür hatte sie immer gesorgt. Tücher, Hüte, abgedeckter Kinderwagen alles nutzte sie aus, damit ihr Kind nicht auf irgendeinem Magazincover landete. Auch sie hatte viele Angebote bekommen, für die ersten Bilder ihrer Tochter, doch sie hatte abgelehnt. Nicht nur wegen ihrer Tochter, sondern auch um der Frage nach dem Vater aus dem Weg zu gehen. Sie wollte sie nicht beantworten, um damit noch mehr Fragen aufzuwerfen.
Auch wenn das nicht die feine englische Art war, so war Michelle froh, dass es zu Ians privaten Leben ging. So konnte sie ihres erst einmal hinten anstellen. "Und das einfach so. Ich kenn deine Frau nicht aber es wird doch sicher einen Grund geben? Keine Frau reist einfach ab ohne einen Grund oder ein Wort. Und wenn es dich so stört, warum fährst du nicht hinterher?" Sie zuckte mit den Schultern und blickte ihn weiter an. Es war irgendwie beruhigten zu wissen das nicht nur sie Probleme hatte. "Dann nehm dir Zeit. Kein Job der Welt, so gut wie er auch ist, ist es Wert seine Familie zu verlieren. Sicher wir haben Verträge aber auch da kann man etwas machen. Vielleicht ist sie wirklich nur sauer, weil du keine Zeit hast und um dir zu zeigen, wie das ist, allein zu sein, lässt sie dich allein. Glaub mir, wir Frauen ticken manchmal auf sehr seltsame Weise. Ich geb dir nicht den Rat zu reden, der ist so lahm. Wenn sie reden wollte, würde sie reden, will sie aber anscheinend nicht, also nichts wie hinterher, zeig ihr, dass du sie liebst, dein Kind liebst. Sieh was passiert." Michelle wusste selber nicht was sie Ian sonst noch raten konnte. Sie kannte seine Frau nicht, sie kannte nicht das wahre Problem, sie konnte nur eine Ferndiagnose machen und die waren bekanntlich nie gut.
Michelle lächelte ihn breiter an. Lost. Eine Zeit an die sie nicht so gern zurückdachte. Ihr Alkoholproblem hatte sie ihren Job gekostet. "Ich habe meinen Job bei Lost verloren, weil ich 2 Mal betrunken Auto gefahren bin und erwischt wurde. Ich musste im Gefängnis meine Strafe absitzen. Ich war so jung und so dumm zur gleichen Zeit. Es ist schon verrückt, dass wir uns nie begegnet sind." Ein Jahr überschnitt sich, was ihre Arbeit auf der Insel betraf, aber gesprochen hatte sie mit Ian nie. Verrückt, dass sie erst später eine Freundschaft aufbauten, die aber eingeschlafen war. "Sagen wir mal so, als ich noch junge war, war Alkohol ein wirklich guter Freund, jede Party, jede noch so kleine Gelegenheit nutze man um zu trinken. Hollywood ist das Schlaraffenland für Alkoholiker." Heute wusste sie, dass sie sich viel eher hätte Hilfe suchen sollen. Ihr erste Straftat hatte sie nicht aufgeweckt, geschweige den ihre zweite. Sie hatte einfach weiter gemacht und war immer tiefer abgerutscht. Heute, würde sie was den Alkoholkonsum anging, so einiges anderes machen.
Die Frage von Ian wer der Vater ihrer Tochter sie, zog Michelle für wenige Sekunden den Boden unter den Füßen weg. Sollte sie lügen? Sollte sie die Wahrheit sagen? Doch wie beantwortete man eine Frage, wenn man selber nicht die Antwort wusste. So oft hatte die Texanerin sie gehört und so oft hatte sie gelogen, weil die Wahrheit nun einmal nicht wirklich schön war. Sie wusste weder den Namen, noch welchen Beruf er hatte. So sehr sie es vielleicht auch wollt, sie konnte ihn nicht finden, ohne eine große Welle zu schieben. Machte sie es öffentlich, dann würde sie mehr Väter für ihre Tochter haben, als ihr lieb war und das wollte sie sicher nicht. Nicht für sich und auch nicht für Aya. "Was soll ich sagen? Ich habe keine Ahnung." Es fühlte sich immer noch merkwürdigen an, dies auszusprechen. Sie fühlte sich immer schlecht und schmutzig. Die Texanerin hatte über die Jahre viel gelernt und doch war sie für eine Nacht, die dümmste Frau der Welt gewesen. "Ich weiß, das macht mich zu einer Schl***..." sie sprach es nicht aus "...aber ich kann es nicht rückgängig machen und ehrlich, das wie will ich auch gar nicht. Ich liebe meine Tochter und sie ist das Beste, was mir passiert ist. Doch irgendwann, wird sie Fragen stellen und vielleicht geh ich dann der Frage nach, wer ist Vater sein kann. Und bevor du fragst, es ist niemand der in unseren Reihen verkehrt. Einfach ein Typ in einem Club. Verdammter Alkohol." Michelle wollte sich gar nicht ausmalen, wie es werden würde, wenn Aya sie eines Tages fragt, wer ihr Vater sein konnte. Was sollte sie dann antworten? Sie sehnte sich nach einer Zigarette oder einem Glas Alkohol, doch beides hatte sie nicht.