19.09.2020, 12:30
Plötzlich brach es alles aus Mélanie heraus. All die Wut und die Frustration der letzten Monate. Alles, was die Blondine heruntergeschluckt und was sich so in ihr angestaut hatte. Es war wie ein eigentlich massiver Damm, der nun jedoch mit einem Mal brach. Die Wassermassen ergossen sich dann über Paul, der von ihnen mitgerissen wurde. Der im ersten Moment nur noch Wasser sah und Wasser schluckte und der verzweifelt versuchte den Kopf über Wasser zu halten. Es war zunächst einfach alles
Seine altbekannte Unsicherheit ergriff ein Mal mehr Besitzt von dem Amerikaner. Er wusste nicht, ob er die Blondine um weitere Erklärungen bitten sollte – oder eher doch nicht. Er wollte ja auch nicht, dass sie sich noch wie eine Gefangene bei einem Verhör fühlte. Und es war offensichtlich, dass die blonde Europäerin jetzt schon durch den Wind war. Unschlüssig schürzte Paul die Lippen, bis die Haut um diesen Bereich herum ganz weiß war. Schließlich setzte sich der Amerikaner erstmal neben Mél und legte ihr schweigend den Arm um die Schulter. Wenn er ganz ehrlich zu sich selber war, dann hatte der Amerikaner sich schon so manches Mal gedacht, dass es er Mélanie nicht nur als Mensch, sondern auch als Frau ... nett ... fand. Allein Gedanken wie diese trieben ihm dann immer die Schamesröte ins Gesicht. Eigentlich war ja nichts dabei eine schöne Frau attraktiv zu finden, doch Mél war eine platonische Freundin und noch dazu verheiratet, deshalb waren Paul solche Gedanken extrem unangenehm. Jedenfalls, in diesem Moment war seine Geste jedoch wirklich ganz unschuldig. Er war wie ein Kind, welches einen Schulkameraden tröstete, der sich vielleicht das Knie aufgeschlagen oder eine seltene Baseball-Sammelkarte verloren hatte und nun wie ein Schlosshund heulte. Mit vorsichtigen Bewegungen tätschelte Paul Mélanies Schulter.
„Ich glaube, ich muss mir erstmal Etwas zu trinken holen.“ meinte Paul dann, nach dem die Freunde eine ganze Weile schweigend so da gesessen hatten. Ohne, dass die Stille sich schwer angefühlt hatte. „Soll ich dir Etwas mitbringen? Angebracht wäre Gin, gesünder wäre aber Tonic Water oder – noch besser – Table Water.“ Er grinste eine lädierte Version seines normalen Grinsens. „Und ich muss kurz telefonieren.“ murmelte der Schauspieler und fuhr sich nervös mit der Hand durchs dunkle Haar. Der Schauspieler ließ Mél jetzt ungern allein, gerade wenn er es auch noch tun musste, damit er so etwas Banales erledigen konnte wie einen Anruf zu tätigen. Doch der Schauspieler musste das Abendessen nunmal absagen. „Aber ich bin gleich wieder da.“ versicherte Paul seiner Kollegin, schob ein schiefes Lächeln hinterher und ging in die Küche, wo er zwei Gläser mit Mineralwasser füllte und dann sein Handy zückte. Eigentlich machte es keinen Unterschied, ob er von hier aus beim Gastgeber der Party anrief oder ob er es vom Wohnzimmer aus getan hätte. Mélanie hätte das Gespräch unfreiwillig immer mitangehört beziehungsweise sie würde es mitanhören. Doch so kam es Paul irgendwie anständiger vor. Es wäre einfach komisch gewesen, neben der Französin zu sitzen und zu telefonieren. Es klingelte ein paar Mal und Paul betrachtete währenddessen eine Zeichnung, die Darby für ihn gemalt hatte und die von einem Magneten am Kühlschrank festgehalten wurde. Das etwas krakelige Bild zeigte eine organgerote Katze, die Paul sofort an den Cartoon-Kater Garfield denken ließ. Er fragte sich gerade, ob seine Tochter wohl wusste wer Garfield war, als die tiefe Bariton-Stimme des Gastgebers erklang. „Ihnen auch einen guten Abend.“ erwiderte Paul dessen Begrüßung höflich. Er redete nicht groß um den heißen Brei herum und erklärte dem – zum Glück sehr verständnisvollen – Mann, dass er dessen Feier heute leider doch fernbleiben würde. „Einer sehr guten Freundin von mir geht es nicht gut und ich muss jetzt einfach für sie da sein.“ erläuterte Paul mit fester Stimme und war ganz ehrlich. Es kam ihm gar nicht in den Sinn zu lügen oder fadenscheinige Ausreden hervorzupressen. Warum auch? Paul fand seine Prioritäten durchaus richtig. Genau wie der Gastgeber, wie sich dann herausstellte. „Sowas ist auch wirklich wesentlich wichtiger als ein Dinner.“ stimmte dieser nämlich zu und plötzlich war sein Südstaaten-Akzent sehr dominant. Paul, der vor dem Telefonat doch ein wenig nervös gewesen war, entspannte sich sofort. „So sehe ich das auch. Es ist viel wichtig als ein Dinner je sein könnte.“ pflichtete der Schauspieler dem Gastgeber bei und nickte, auch wenn der andere Mann ihn übers Telefon nicht sehen konnte. Der Gastgeber gab dem Schauspieler erneut Recht. „Es ist wirklich schade, dass sie heute nicht kommen können, Paul. Aber ich mag Ihre Prioritäten. Ein Mann, dem seine Freunde noch wichtiger sind als kostenloses Essen und freie Drinks, das ist ein Mann nach meinem Geschmack!“ Er unterstrich seine Worte mit einem bellenden Lachen. „Und dann eben beim nächsten Mal. Dann können Sie ihre Freundin auch gerne mitbringen. Ich hoffe doch, dass es ihr bis dahin wieder besser geht!“ Es wurden noch ein paar Floskeln ausgetauscht, dann verabschiedeten sich die Männer voneinander.
Nach dem Telefonat balancierte Paul die Gläser ins Wohnzimmer. Dort angekommen musterte er Mél und hatte schließlich den Eindruck, dass diese sich ein wenig beruhigt hatte. Er stellte die Getränke auf dem Couchtisch ab und setzte sich wieder neben die Blondine. „So. Und jetzt nochmal von Anfang an.“ Der Amerikaner schenkte ihr ein entschuldigendes Lächeln. Wie als wollte er sagen 'Manchmal bin ich etwas schwer von Begriff und man muss mir die Dinge mehrfach erklären, sorry.' Paul wollte eben nicht, dass Mél sich angegriffen fühlte, darum lud er die "Schuld" auf seine Schultern. „Es läuft also nicht gut zwischen Ben und dir.“ Der erste Schock war mittlerweile auch bei Paul selber abgeebbt und so langsam merkte er, wie sich neue Gefühle in ihm regten. Enttäuschung, die sich mit Mitleid mischte. Natürlich tat die aufgelöste Blondine ihm leid. Doch warum hatte Mélanie ihm nicht viel früher von ihren Problemen erzählt? Sie hätte doch wissen müssen, dass Paul immer ein offenes Ohr für sie gehabt hätte, wie er es doch jetzt doch auch hatte! Der Amerikaner drängte diese Empfindungen zurück, jetzt ging es darum für Mélanie da zu sein! „So viel habe ich verstanden. Und Ben hört nicht zu.“ So viel auch noch. „Aber du meintest, dass du versuchen willst deine Ehe so zu retten, wie Julie und ich es probiert haben. Heißt das, dass ihr eine Therapie macht? Und Ben macht bei der Therapie nicht richtig mit? Oder will er gar keine machen?“ fragte Paul und streckte die Hand nach seinem Wasserglas aus. Pauls Blicke waren sanft und freundlich. 'Ich bin für dich da' sagten seine Augen und 'Was auch immer los ist, ich höre dir zu und werde versuchen dir zu helfen, so gut ich nur kann.' Die Miene des Amerikaners hatte sich aber gleichzeitig auch verdunkelt. Letztlich wären nämlich wohl beide möglichen Verhaltensweisen von Ben ziemlich schlimm. Der Schauspieler war kein Psychologe oder Therapeut, doch er war sich ziemlich sicher, dass beide Parteien für und bei so einer Therapie zumindest grundsätzlich offen für die Therapie sein mussten, wenn die Sitzungen auch Etwas bringen sollten.