24.01.2021, 04:00
Mélanie erzählte von ihrem Mann und von ihrer Ehe. Sie berichtete von Bens Reaktion, als die Französin eine Therapie vorgeschlagen hatte. Davon, dass er nur gelacht hatte. Die französische Schauspielerin war ehrlich, auch im Bezug auf ihre Verzweiflung. Die Blondine wusste nicht mehr weiter, war mit ihrem Latein am Ende. Ben lehnte die Therapie ab – was nun? Glaubte man dem Ehemann der Europäerin, dann übertrieb Mélanie einfach nur und stellte die Situation finsterer dar, als sie eigentlich war. Paul hörte sich das alles an. Er unterbrach Mélanie nicht ein einziges Mal. Fiel ihr nie ins Wort. Nicht einmal um Fragen zu stellen. Nach Außen hin blieb der Amerikaner ganz ruhig. Er schwieg und sah die Blondine einfach nur mitfühlend an. Gelegentlich nickte er. Innerlich brodelte es jedoch in dem Schauspieler. Es tat ihm weh, Mélanie so zu sehen. Die Blondine war sonst eine so starke und unabhängige Frau. Sie war geradeheraus und ehrlich. Gab nicht immer vor das nette Mädchen von nebenan zu sein und versprühte keinen falschen und klebrigen Charme. Sie war authentisch. Und diese wundervolle Person saß jetzt neben Paul und war ein Schatten ihrer selbst. Seufzend und deprimiert hockte sie auf der Couch und berichtete von ihrer kriselnden Ehe. Die sonst so groß(artige) Frau war jetzt so klein. Der Anblick war ... Falsch! So sollte das einfach nicht sein! Und warum war es so? Weil Ben so ein sturer Idiot war! Weil Mélanies Ehemann der Therapie nicht zumindest eine Chance geben geben konnte! Ein wenig schämte Paul sich für solche Gedanken. Er war nicht jähzornig. Ihm platzte nicht schnell die Hutschnur. Es war eigentlich absolut nicht Pauls Art auf jemanden wütend zu sein, den er kaum kannte. Auf jemanden wütend zu sein, dessen Motive er nicht kannte. Der sonst so besonnene Paul hätte zumindest die Frage nach dem 'Warum' gestellt. Warum lehnte Ben die Therapie ab? Hatte er Gründe? Waren diese vielleicht nachvollziehbar? Hatte er vielleicht schon negative Erfahrung mit einer solchen Therapie gemacht? Normalerweise hätte Paul sich solche Fragen gestellt. Aber wenn der Amerikaner sich Mélanie nun so ansah, dann war da einfach kein Platz für diese Überlegungen. Da war nur Platz für ... Nun ... Sie. Für die Blondine. Seufzend griff der Amerikanerin nach seinem Glas. Er trank einen Schluck und musterte Mélanie über den Rand des Glases hinweg. Sie wirke bleich und kränklich. Blonde Strähnen hingen kraftlos in ihrer Stirn. Paul hätte der Französin so gerne geholfen. Er hätte gerne irgendwas Schlagfertiges gesagt. Vor seinem geistigen Auge sah der Schauspieler wie er irgendeinen total geistreichen Kommentar von sich gab und wie die Kollegen dann zusammen lachten und Ben vergaßen. In der Theorie, in irgendeinem Tagtraum, konnte Paul das tun. Schlagfertig sein. Da war er so flapsig wie ein RDJ vielleicht flapsig sein konnte. Endlos cool und souverän. Ohne Rücksicht auf Verluste. In der Praxis war der Schauspieler dafür zu schüchtern und zu unsicher. Der Amerikaner konnte Witze reißen, oh ja! Natürlich, darin war er praktisch unschlagbar. Doch Paul wollte nichts Falsches sagen. Er wollte die Situation ja auch nicht noch schlimmer machen. Der Gedanke, dass genau das passieren könnte, dieser Gedanke hemmt ihn ungemein. Und so schwieg der Amerikaner weiter und er hörte Mélanie weiter zu. Und er hing weiter den Tagträumen nach, in denen er mehr tun konnte als schweigen und zuhören.
Bis Mélanie den Schauspieler aus eben diesen riss. „Ich hätte merken müssen, dass ich dich von etwas abhalte. Du hättest wirklich nichts absagen müssen. Ich hätte es verstanden, wenn du keine Zeit hast. Immerhin bin ich unangekündigt vorbeigekommen.” Paul schüttelte sofort den Kopf. „Nein!” meinte er entschlossen. „Oh nein, nein, nein! Du hältst mich von nichts ab!“ Wie um seine Worte zu unterstreichen, legte er seine Hand auf die Schulter der Französin. „Ich war zu einem Essen eingeladen, aber dort verpasse ich nur schlechte Anekdoten und noch schlechteres Fingerfood. Also vergiss das einfach! Das ist nicht wichtig! Du bist wichtig!” Paul öffnete nun mit raschen Bewegungen den Knoten seiner Krawatte. Er warf sie achtlos neben sich auf die Couch. Dann zog der Amerikaner auch das Sakko des Anzugs aus und hängte es über die Lehne des Sofas. Jetzt sah Paul nicht mehr ganz so sehr wie einer dieser Oberdeck-Schnösel aus, die sich in Titanic über den armen Jack Dawson lustig machten. Vielleicht würde das Mél helfen das Abendessen zu vergessen. „Du bist nicht unhöflich!“ stellte er klar. Er fixierte die Blondine nun mit seinen Blicken. „Du bist jemand, der jemanden zum reden braucht. So wie wir alle manchmal.” Paul holte tief Luft. Seine Brust hob und sengte sich. Er sah die Französin weiter an. „Komm mal her.” Der Amerikaner zog seine Kollegin in eine Umarmung. Die Frau in seinen Armen fühle sich weich und warm an. Sie roch nach einer Mischung aus Kaffee und nach dem New Yorker Somerregen. Paul schloss kurz die Augen und atmete diesen Duft tief ein. Er strich Mélanie sanft über den Rücken. Schließlich löste der Amerikaner sich wieder von der Blondine. Einen Moment lang betrachtete er sie schweigend. Eine blonde Haarsträhne fiel ihr schier ins Auge und für den Bruchteil einer Sekunde überlegte der Schauspieler, ob er diese widerspenstige Strähne aus Méls Stirn streichen sollte. Doch natürlich tat er es nicht. Er schämte sich sofort für den Gedanken. Der war ihm ... Naja ... Einfach so gekommen. Aber natürlich war er eigenartig und falsch! Manche Gesten waren einfach zu intim für zwei normale Freunde. Paul räusperte sich. Zeit für einen Themawechsel!
„Also ... Wegen Ben.” begann er. „Ich meine ... Ich denke ... Du willst doch vielleicht meinen Rat hören oder meine Gedanken.” Der Amerikaner merkte wie die alte Unsicherheit an ihm zu nagen begann. „Es ist jetzt kein total professioneller Rat. Mein Fachgebiet sind Furz-Witze, nicht Beziehungen, deshalb ist der Rat eher semi-professionell.” Paul lachte etwas zittrig auf. „Was ich nicht verstehe ... Also jede Beziehung ist natürlich anders und ich kenne Ben so gut wie gar nicht.“ räumte er ein. „Aber weißt du, meine Ehe ist gescheitert und dennoch ... Ich kann Julie heute in die Augen sehen und sie mir und wir wissen, dass wir alles für diese Beziehung getan haben. Wir können uns echt viel vorwerfen. Viele Fehler, Kleinigkeiten und Groß-igkeiten. Alles. Aber wir können uns nicht vorwerfen, dass wir nicht wirklich alles getan haben, um diese Ehe zu retten. Wir sind zu all den Sitzungen gegangen und haben immer brav unsere Hausaufgaben gemacht. Egal wie unangenehm und ja, auch schmerzhaft das manchmal war.” berichtete er. „Ich sage dir das jetzt nicht, weil ich dir damit zeigen will wie toll wir sind. Im Gegenteil. Julie und ich sind auch nicht anders als andere Menschen. Genauso verkorkst wie alle andere auch.“ Ein weiteres nervöses Lachen. „Ich denke, dass das die normale Reaktion ist. Oder sein sollte. Dass man für die Ehe oder eben für die Beziehung kämpft. Man weiß es doch eigentlich, wenn man Beziehungsprobleme hat. Vielleicht will man es nicht wahrhaben, aber man weiß es doch. Und dann kämpft man, weil es einfach richtig ist zu kämpfen. Weil die Beziehung einem viel bedeutet, auch wenn man vielleicht keine rosarote Brille mehr trägt. Und vielleicht trennt man sich am Ende trotzdem, aber dieser Impuls zu kämpfen ist doch erstmal vorhanden. Zumindest wenn die Beziehung einem wirklich wichtig ist. Ich glaube, dass dieser Impuls immer da ist. Dieser Wille zu kämpfen.” Er deutete ein Nicken an. Das war Pauls Überzeugung. „Nun hat Ben so eine tolle Frau und sie spricht ihn direkt auf die Probleme an. Warum reagiert er nicht? Warum kämpft er nicht? Warum riskiert er es eine Frau wie dich zu verlieren? Warum ist er so dumm? Das verstehe ich nicht. Sieht er das Problem wirklich nicht? Oder will er es nicht sehen?” fragte der Schauspieler in den Raum hinein. „An deiner Stelle würde ich mich das fragen. Beziehungsweise, ich würde Ben diese Fragen stellen. Ich würde ihm klar machen, wie ernst die Situation ist. Das hat er anscheinend noch nicht begriffen. Oder er will es noch nicht einsehen. Rede nochmal mit ihm. Wenn er kein totaler Vollidiot ist, dann wird auch er kämpfen. Kein Mensch würde eine Frau wie dich einfach kampflos aufgeben!” versicherte Paul der Französin. Ein aufmunterndes Lächeln umspielte seine Lippen. Ben würde ganz sicher um Mélanie kämpfen. Wer würde das bei so einer Frau nicht tun?