07.08.2021, 03:10
„Vielen Dank Paul, das ist echt lieb von dir.“ Paul nahm einen Schluck von seinem Wasser, leerte das Glas und nickte dann. „Klar doch.“ Er sagte das in einem beschwingt-optimistischen Tonfall, der 'Und jetzt Kopf hoch, das wird schon wieder, Ben braucht vielleicht nur etwas länger als andere. Und das sollte dich eigentlich nicht überraschen, denn er ist ja schließen ein Mann' als Unterton in sich mitschwingen hatte. Der Amerikaner schenkte Mélanie das dazu passende Lächeln. Das hoffnungsvolle Lächeln eines blauäugigen Kindes. Tatsächlich empfand der Schauspieler diese naive Zuversicht jedoch nicht. Pauls Pessimismus war insgeheim so bitter und pechschwarz wie dampfender Kaffee. Der Amerikaner war bestimmt kein Zyniker oder Schwarzseher, doch nach allem, was die Europäerin Paul über Ben erzählt hatte, konnte er sich Mélanies Gatten wirklich nur schlecht als formvollendeten Gentleman vorstellen. Ben ignorierte seine Frau und ihre Wünsche ständig. Er versetzte Mél, da seine Arbeit ihm ganz offensichtlich wichtiger war als ein Konzertbesuch mit der Blondine oder ein romantisches Abendessen mit seiner Frau. So jemand wachte doch nicht eines Morgens auf und beschloss von nun an ein Vorzeige-Partner zu sein. „So ein Mann wäre wirklich toll.“ Paul stimmte in das leise Lachen der Schauspielerin ein. Der Kanon klang geknickt. „Wäre?“ Der Schauspieler zog eine Augenbraue hoch. „Bei dir klingt das so als wäre so eine Mann eine fast schon verklärt-romantische Figur. So wie der Prinz im Märchen oder Tom Hanks in Sleepless in Seattle.“ Paul schüttelte entschieden den Kopf. „Solche Männer gibt es wirklich und gerade du solltest daran glauben, denn gerade du hast einen solchen Mann verdient!“ stellte der Amerikaner mit einer gewissen Vehemenz in der Stimme klar. Ein paar Wimpernschläge verstrichen in Stille. Augenblicke, in denen Pauls Worte im Raum an Volumen gewannen. „Wirklich …“ fügte der Schauspieler murmelnd hinzu. Paul drehte nun das Glas in seiner Hand. Er schaute auf das Glas und sah doch nicht richtig hin. In Gedanken war Paul noch immer bei dem Mann, den Mélanie verdiente. Ein Mann, der gar nicht mal perfekt sein musste. Er musste doch nur für die Blondine da sein. Eben der Partner an ihrer Seite sein. Das sollte doch nicht zu kompliziert, sondern ziemlich machbar sein. Und trotzdem bekam Ben es anscheinend nicht gebacken. Und alles, was Paul tun konnte, war hier sitzen und schlau reden… Der Schauspieler unterdrückte einen bitteren Seufzer. Es war natürlich wichtig und vielleicht sogar hilfreich Tipps zu geben und das wusste der Amerikaner schon auch. Doch Paul hätte einfach gern mehr für Mélanie getan. Sie war eine großartige Person und hatte einfach mehr verdient. So viel mehr.
„Kann ich Ben bei dir in einen Kurs schicken?“ riss die Europäerin ihren Kollegen aus dessen schwermütigen Gedanken. Paul stellte sein leeres Glas neben Mélanies auf dem Tisch ab. „Ich kann so einen Kurs leider nicht anbieten. Ich habe kein geheimes Wissen, welches ich den potentiellen Kursteilnehmern vermitteln könnte. Ich würde den Leuten mit solchen Kursen also nur das Geld aus der Tasche ziehen.“ Der Amerikanerin tippe sich mit gespielter Nachdenklichkeit ans Kinn. „Wobei ...“ Paul grinste. „Hast du schon mal gesehen was für komplett unnützes Zeug sie den Zuschauern bei diesen Teleshopping-Kanälen andrehen? Verglichen damit wär ich ein grundehrlicher Geschäftsmann mit meinen Kursen.“ witzelte er. Paul ging auf den Scherz der Europäerin ein, tatsächlich und innerlich war ihm jedoch eigentlich gar nicht zum Lachen zumute. Es steckte irgendwo eine traurige Wahrheit in dem Witz. Ben hätte so einen Kurs nämlich wirklich nötig gehabt. Doch so einen Kurs gab es nicht. Denn ins Pauls hypothetischem Lehrgang ging es nicht darum wie man sich in der feinen Gesellschaft benahm. Es ging nicht um Verhaltensregeln, die gepaukt werden mussten. Man lernte nicht mit welchem Besteck man was essen sollte, wenn man sich bei einem Galadinner nicht blamieren wollte. Wäre der Kurs real gewesen, dann hätte man dort gelernt ein Partner zu sein, der respektvoll und umgänglich war. Der mitdachte und vielleicht auch mal Eigeninitiative zeigte. Solche ganz alltäglichen Dinge. Das war schon alles. Und es gab diesen Kurs nicht, weil das eigentlich jeder können sollte. Nicht nur jeder Partner, sondern jeder Mensch generell. Also auch Ben. Er musste nicht Superman sein, das verlange niemand. Clark Kent hätte schon gereicht. Aber nein ….
Nach einigem Zögern und einigen Zweifeln räusperte der Amerikaner sich. „Was ist denn mit dir?“ Er sah Mélanie jetzt direkt in die Augen. Noch immer freundlich, aber auch ernst. „Hast du mal darüber nachgedacht einen Kurs zu belegen? Vielleicht einen, in dem man lernt seinem Mann so richtig den Kopf zu waschen?“ Das zu fragen erforderte Mut und Paul war dabei durchaus ein wenig zittrig zumute. Es war ein sensibles Thema. Gleichzeitig glaubte der Schauspieler aber eben wirklich, dass Mélanie in der Situation mit Ben ganz entschlossen auftreten musste – und er glaubte, dass sie Mut zu würdigen wusste. „Egal wie sehr du es vielleicht willst, Bens Verhalten kannst du nicht verändern. Das kann letztlich nur er selber.“ fuhr Paul fort. „Was du aber verändern kannst ist dein eigenes Verhalten. Die Art wie du auf Bens Verhalten reagierst. Was du akzeptierst – oder eben nicht. Achte vielleicht mehr auf dich. Auf das, was du willst und wie du dir eine Beziehung vorstellst – oder eben nicht.“ Paul kam sich fast schon weise vor, aber hey, es stimmte doch. „Vielleicht war dein bisheriger Ansatz falsch und du hast zu sehr versucht ihn zu ändern. Anstatt dich in den Fokus zu stellen und bei dir anzusetzen und mit deinen Veränderungen letztlich vielleicht auch ihn zu verändern.“ Wo sie irgendwo ja wieder bei den Konsequenzen waren. Paul lächelte ein mattes Lächeln. Er wünschte Mélanie, dass es so kommen würde. Dass Mél in sich gehen und dann strenger auftreten und Ben sich daher dann ändern würde, wirklich daran glauben tat Paul jedoch nicht. Woran er jedoch tatsächlich glaubte war, dass die Blondine sich selbst in den Fokus stellen sollte. Sie musste für sich herausfinden was sie glücklich machte und ob diese Beziehung das wirklich noch immer war. Kurz herrschte Schweigen im Zimmer. Draußen, irgendwo in der Nachbarschaft, hatte jemand laut Musik aufgedreht. Rock. Gitarren kreischten. Vielleicht lag es daran, dass niemand Etwas sagte, auf jeden Fall wurde Paul langsam mehr und mehr bewusst, dass er sich hier ziemlich als Möchtegern-Psychologe betätige und sich ganz schön in eine Ehe einmischte, die nicht die seine war. Sein Mut schmolz also langsam dahin und dem Schauspieler wurde unangenehm warm. Die Zweifel von gerade eben holten den Amerikaner nun doch wieder ein. Was tat er hier eigentlich?! Erneut räusperte Paul sich. Er lächelte schräg und scheu. „Du … Ähm … Kannst ja vielleicht mal darüber nachdenken.“