25.05.2021, 05:55
„Vielleicht noch etwas mehr? Nicht, dass es zu gesund bleibt.“ Chris verzog angewidert das Gesicht. Gesundes Essen! Was für eine Horrorvorstellung! Rasch schaufelte der Amerikaner noch mehr Käse auf seinen Teller. Schließlich sah man die Spaghetti und die Soße kaum noch. Nur hier und da lugte eine einsame Nudel unter der Decke aus gelbem Käse hervor. „Es ist so schon gesund genug.“ Der Amerikaner rümpfte leicht die Nase und schüttelte sich wie ein Hund, der in den Regen geraten war. „Das Essen ist ohne Konservierungsmittel und ohne künstliche Farbstoffe.“ klärte Chris seine Freundin auf, wobei er die Menükarte des Lieferdienstes zitierte. „Und das ist noch nicht alles!“ warnte Chris seine Herzdame mit erhobener Gabel. „Das Gemüse ist Bio-Gemüse.“ Die Mundwinkel des Amerikaners hingen herunter und Chris sah aus wie jemand, der gerade in eine Zitrone gebissen hatte. „Noch nicht mal die Nudeln sind einfach nur normale Nudeln. Das hier ...“ Der Schauspieler deutet mit der Spitze seiner Gabel auf jene Nudeln, die irgendwo unter der Schicht aus Parmesan begraben waren. „... Diese Spaghetti sind Vollkornnudeln!“ Chris betonte jede einzelne Silbe des Wortes 'Vollkornnudeln'. Tatsächlich fand Chris ein gesundes Essen wie dieses hier halb so schlimm. Der Schauspieler war nicht blöd. Er liebte Fastfood und Junkfood. Fettiges und salziges Essen, das in etwa so viel Nährwert hatte wie Pappmaché. Doch nur weil er darauf abfuhr, sich nach einem gepflegten Burger genüsslich alle zehn fettigen Finger abzulecken, hieß das noch lange nicht, dass Chris es nicht besser wusste. Vollkornnudeln in einer Soße aus Bio-Gemüse und Tofu. Das klang vielleicht wie der kulinarische Traum eines typischen Brooklyn-Hipsters. Es klang aber auch gesund. Und es schmeckte gar nicht mal so schlecht. Vielleicht sogar ganz gut. Chris spielte gerade nur mal wieder seine Paraderolle – den Klassenclown –, um Bryce und sich selbst zum lachen zu bringen. All seine Grimassen von gerade waren nur eine Show gewesen. „Wahrscheinlich hätten wir dort auch hingehen sollen.“ Also zu Chuck E. Cheese’s. „Wer weiß was dieses Essen mit mir macht! Vielleicht verdaue ich es und habe danach perfekte Blutwerte!“ regte der Amerikaner sich gespielt auf und spielte weiter den Clown. Ein glucksendes Lachen schlich sich in die künstliche Schimpftirade. „Und ich habe gar nichts angestellt! Das einzige Verbrechen des heutigen Abends besteht aus dem kulinarischen Schwerverbrechen, dass wir kein Fleisch essen, sondern diese zusammengepressten Bohnen!“ Chris genehmigte sich einen Happen. Nickend sah er zu Bryce „Die übrigens sehr gut schmecken.“ Der Amerikaner hörte nun auf seine Rolle zu spielen. Er strahlte den Rotschopf ganz aufrichtig an. Chris und Bryce waren sich in so vielen Punkten gar nicht ähnlich. Bryce war eine Vegetarierin. Chris liebte Fleisch und ging sogar selber jagen. Bryce war ein gesunder Lebensstil wichtig. Chris hätte auch ganz ohne Sport und von Keksteig leben können. Sie waren so unterschiedlich. Und doch waren sie wie zwei Puzzleteile, die perfekt zusammenpassten. Sie ergänzten sich und ergaben ein gemeinsames Ganzes. Dank Bryce wusste der Schauspieler jetzt sogar, dass Tofu genießbar und dass Seitan keine Kosmetikfirma war. Und die rothaarige Schönheit kannte sich wegen Chris nun vielleicht ein wenig besser mit Football aus, als sie es früher getan hatte. Es war eine fast schon symbiotische Beziehung und die perfekte Ausgangslage für einen romantischen Abend zu zweit. Ein solcher Abend wäre es vermutlich auch geworden ....
.... Wenn Chris' Handy dann nicht angefangen hätte zu läuten. Der Schauspieler zuckte leicht zusammen als die Melodie des Klingeltons erklang. Wer war das denn jetzt? Der Amerikaner legte die Stirn in Falten und blinzelte dann als er Annas Namen auf dem Display aufblinken sah. „Anna.“ Chris bedachte Bryce mit einem entschuldigenden Blick. Ein 'Ich muss da dran gehen, sorry' stand stumm in seinen Augen. „Anna, hey.“ meldete Chris sich. „Chris!“ Die Stimme der Blondine klang schriller als sonst und auch zittriger. „Ja, der spricht hier.” entgegnete der Schauspieler mit einem Lachen in der Stimme. Dieses Lachen blieb ihm dann jedoch schnell im Halse stecken. Anna erzählte von einer Freundin, die ihre Hilfe brauchte. Angeblichen war nichts allzu Dramatisches passiert, die Blondine hörte sich aber dennoch aufgeregt an. „Kann ich Jack heute bei dir vorbeibringen?“ Chis entging der leicht flehende Unterton in der Stimme seiner Noch-Frau nicht. „Ich würde schon gerne ein paar Tage zu Chloe fahren. Du weißt schon, einfach für sie da sein. Und Jack kann ich da nunmal wirklich schlecht mitnehmen.“ Sie seufzte bitterlich. Unsicher sah Chris zu Bryce. Der Schauspieler liebte seinen Sohn, doch dieser romantische Abend mit dem Rotschopf war überfällig und Chloes Problem ja auch kein Weltuntergang. Hatte Annas Besuch bei ihr nicht noch ein paar Tage Zeit? Konnte die Blondine nicht dann zu ihrer Freundin fahren, wenn Jack regulär bei seinem Papa sein würde? „Chris, bitte.“ Dem Schauspieler war wie als könnte er Annas Dackelblick durch das Telefon hindurch auf sich gerichtet spüren. Der Amerikaner knirschte mit den Zähnen. „Ich weiß nicht, Bryce ist hier und eigentlich wollten wir den Abend zusammen verbringen.“ Anna reagierte allergisch auf diese Worte. „Also ist sie dir wichtig als dein Sohn?!“ fauchte die Blondine anklagend. Chris schüttelte den Kopf. „Natürlich nicht, es ...“ Seine Ex fiel ihm ins Wort. „Chris, es heißt Co-Parenting, weil man es zusammen tut. Man unterstützt sich als Eltern also noch immer gegenseitig anstatt sich stur an festgeschriebene Zeiten zu halten. Du kannst mir jetzt helfen eine gute Mom für Jack und gleichzeitig eine gute Freundin für Chloe zu sein. Also bitte.“ Das Gespräch ging noch eine Weile so, doch schließlich stimmte Chris Annas Plänen zu und erlaubte ihr Jack vorbeizubringen. „Was ...“ setzte er an und hielt kurz die Luft an. „ ...ist mit der Regel?“ Chris starrte auf seine Gabel, die leblos auf seinem Teller lag. Am anderen Ende der Leitung herrschte Stille. „Die gilt natürlich auch jetzt noch.“ Anna klang stur und jetzt auch wieder gekränkt. Bryce war ganz offensichtlich noch immer ein wunder Punkt für sie. Die Blondine legte auf und der Schauspieler sah zu seiner Freundin. „Das war Anna. Sie muss für ein paar Tage die Stadt verlassen und wird Jack daher gleich vorbeibringen.“ gestand er Bryce murmelnd. Gefühlt war sein Mund voller Wattebäusche und auch seine Lippen fühlten sich taub an. „Das hat sich spontan ergeben. Ich wusste davon bis gerade eben auch nichts. Ich glaube Anna wusste es sogar selber nicht.“ fügte der Amerikaner zu seiner Verteidigung (und der Annas) hinzu. In dem Wissen, dass da noch Etwas war, unterdrückte er einen Seufzer und spielte mit einer Stoffserviette. Dann hob er den Blick und sah Bryce direkt an. „Sie ....“ Chris holte tief Luft. Ein Schatten huschte über sein Gesicht. Der Clown von gerade eben war Lichtjahre weit entfernt. „Sie hält noch immer an der Regel fest.“