02.08.2021, 06:30
„Was? Nein, sei nicht albern.“ Blinzelnd hob Tom den Blick und sah Brie skeptisch an. Sie winkte ab, als hätte der Brite mit seiner Aussage gar nicht mehr auf dem Schlauch stehen können. Doch Tom glaubte seiner Freundin nicht. Nicht wirklich. Er wollte! Natürlich wollte er! Es war nur … Klar, Brie war eine sehr talentierte Schauspielerin. Alle Zweifler mussten nur einen einzigen Blick auf ihren schimmernden Goldjungen im Regel werfen, um das Zweifeln sein zu lassen. Doch Tom kannte nicht nur Brie, die Schauspielerin. Er kannte auch Brie, Menschen. Er wusste wie ihre Mundwinkel ruckartig zucken konnten, wenn die Blondine den Drang verspürte jemandem ins Wort zu fallen. Oder dass sich ihre Nase manchmal auf eine ganz spezielle Art kräuselte, wenn die Amerikanerin einen Geschmack im Mund hatte, der ihr missfiel. Der Engländer konnte Brie vielleicht nicht lesen wie ein Buch, aber manche Zeichen wusste er dann schon zu deuten. Und jetzt gerade … Fast alles an der Schauspielerin wirkte versöhnlich. Als wären ihre Worte die Wahrheit und nichts als die Wahrheit. Die Worte selbst, der Klang ihrer Stimme und ihre Körpersprache , all das wirkte überzeugend. Doch wenn man Brie ansah, sie richtig ansah, dann passte da irgendwas nicht. Es war wie so ein Finde-den-Fehler-Bild, bei dem zwei Bilder fast identisch waren, sich aber doch winzige Unterschiede eingeschlichen hatten. Der Dalmatiner auf dem rechten Bild hatte einen Punkt weniger und sein Halsband war rot anstatt blau. „Es tut mir leid, wenn ich so zurückhaltend wirke, das Meeting war sehr lang und ich habe ein wenig Kopfschmerzen.“ erklärte Brie fort und Tom nickt, was irgendwie resigniert aussah. Als wüssten sie beide um die Wahrheit. Um die echte Wahrheit. Nicht Bries rosarote Version davon. „Das Meeting …“ wiederholte der junge Mann ausdruckslos und nickte erneut.
„Die Party ist wie gesagt etwas anders als gedacht, aber anders heißt ja nicht gleich schlecht.“ Brie ließ ihre Blicke nun durch den Raum wandern. Der Engländer sah seine Freundin hingegen weiter an, wobei sein Blick traurig und gleichzeitig leer war. „Sieh dich um, alle haben eine Menge Spaß und doch genau um das geht’s doch.“ fügte die Schauspielerin hinzu, wie um ihre Aussage damit zu unterstreichen. Tom schob die Hände in die Taschen seiner Hose, nickte knapp und gab ein gebrummtes 'Mhhh' von sich, welches auf diverse Arten und Weisen hätte interpretiert werden können. Ehrlich gesagt hatte der Engländer Brie gar nicht richtig zugehört. Tom fühlte sich mittlerweile regelrecht verkatert. Ja, verkatert. Dieses eine Wort beschrieb mehr und mehr wie der Brite sich vorkam. Als wäre diese Party eigentlich schon längst vorbei. Als läge der Engländer ächzend und mit Kopfschmerzen auf der durchgelegenen Couch, auf der sein Feier-Höhenflug in den frühen Morgenstunden ein jähes Ende gefunden hatte. Irgendwie ziemlich desillusioniert. Die Party des Jahrtausends war nur noch eine Erinnerung, die sich bereits jetzt fern anfühlte. Und alles, was einem geblieben war, war Restalkohol im Blut und ein widerwärtig pelziger Geschmack auf der Zunge. Natürlich war die Party eigentlich noch nicht vorbei. Tom befand sich nach wie vor in ihrem Epizentrum. Die Bässe eines RnB Tracks wummerten aus den Lautsprechern. Gäste unterhielten sich angeregt, feixten und prosteten einander lachend zu. Getränke wurden geschlürft und Pizza wurde verdrückt. Körper bewegten sich im Rhythmus der Musik und tanzen durch Wohnungen als wäre sie ein Club. In der Luft vermischte sich Parfüm mit Aftershave, Deo und Schweiß. Die Party war noch längst nicht vorbei. Im Gegenteil, vielleicht erreichte sie gerade ihren Höhepunkt. Doch für den jungen Engländer war die Feier dennoch gelaufen.
Tom schluckte. Der Mund des Schauspielers war mit einem Mal staubtrocken. Obwohl sein letzter Drink noch nicht lange her war, fühlte es sich doch haargenau so an. Der junge Mann runzelte unschlüssig die Stirn. Vielleicht sollte er einfach mitspielen. So tun als würde er Brie ihren lauwarmen Enthusiasmus für die Party abkaufen. Um des lieben Friedens willen. Und wer wusste schließlich schon, was dann passieren würde? Vielleicht würden die Schauspieler die Party dann wirklich noch zusammen genießen können. Ja, vielleicht sollte der Engländer einfach mitspielen. Wahrscheinlich sogar. Das war vermutlich seine vernünftigste Option. Ein wenig schauspielern und schon wären alle wieder glücklich. Zumindest augenscheinlich und den Rest würde man später klären können. Klang gut. Vernünftig eben. Doch Tom war nicht immer vernünftig. Der Engländer war kaum den impulsiven Teenager-Jahren entwachsen und in so mancher Situation gewann sein hitziges Herz noch immer die Oberhand über seinen Verstand. Ganz egal, ob es in solchen Situationen vielleicht viel ratsamer gewesen wäre auf besagten Verstand zu hören. Ein guter Kompromiss konnte einen letztlich wesentlich weiter bringen als eine hingespuckte Beleidigung, selbst wenn diese sich im ersten Moment noch so gut anfühlen mochte. Ein freundliches Lächeln war oftmals ein schärferes Schwert als ein rotzfrecher Kommentar. Ruhe musste es bei einem Streit nicht nur vor dem Sturm geben. Lektionen wie diese musste Tom erst noch richtig verinnerlichen. Genau deshalb konnte der Brite die Sache dann auch nicht auf sich beruhen lassen. Auch nicht vorerst. Es war einfach zu gemein! Er hatte sich so viel Mühe bei der Planung dieser Party gegeben und alle Anwesenden wussten das ganz offensichtlich auch zu würdigen. Das hieß natürlich alle bis auf Brie, die ihn jetzt auch noch anlog! Tom sollte nun mit seinen Gästen unbeschwert feiern, doch anstatt das zu tun, musste er sich Bries Lügenmärchen anhören, die noch nicht mal den Mut hatte ihm ehrlich ihre Meinung zu sagen. Es war einfach zu viel um verlogen zu lächeln und das Spiel der Amerikanerin mitzuspielen!
„Ja, alle haben Spaß, nur du nicht!” beschwerte Tom sich also. Er hatte einen Schritt auf Brie zugemacht und konnte nun den Geruch von Haarspray riechen, der leicht von der Schauspielerin ausging. „Ich glaube dir, dass du die Party nicht schlecht findest. Du findest sie grottenschlecht!“ meinte der Engländer voller Überzeugung. In seinen Augen funkelte Wut – aber auch Enttäuschung. Tom war sauer, doch seine Gefühle waren auch verletzt. Er war zornig. Kam sich jedoch auch verletzlich vor und Brie ausgesetzt, die ihn sicher wie ein Buch lesen konnte. „Dabei habe ich mir wirklich Mühe gegeben!“ Die Stimme des jungen Mannes war angeschwollen und gleichzeitig brüchiger geworden. Er deutete auf sich selbst. „Ich wollte, dass das unser Abend wird! Dass wir Spaß haben! Wirklich!“ War das jetzt ein Angriff? Eine Verteidigung? Beides? Der Schauspieler hätte es selber nicht so genau sagen können. Es war nicht Toms Absicht gewesen dramatisch zu werden, doch irgendwie war er in dem Moment genau das. Die Light-Version eines Teens, der rumschrie und Türen mit Wucht zuknallen ließ. „Und jetzt gefällt es dir nicht, weil es nicht piekfein genug ist! Weil wir nicht Kaviar von goldenen Tellern essen oder was auch immer dein Problem ist!“ Der Londoner schüttelte entschieden den Kopf. „Und das kannst du mir noch nicht mal sagen! Stattdessen erzählst du mir diese Scheiße von wegen die Gäste amüsieren sich doch. Ja! Das tun sie! Aber du nicht! Und das …“ Toms Blick traf nun Bries. Er brach mitten im Satz ab. Er begriff was er hier gerade eigentlich tat und wie dumm es war. Und auch was wohl sein eigentliches Problem war. Unter all den unzähligen Schichten des angepisst Seins. Die Wut fiel nun in sich zusammen wie ein Kartenhaus. Was blieb war ein Gefühl von kalter Leere. Noch mehr Katerstimmung. „Sorry.“ murmelte der Engländer reumütig und ließ die Schultern hängen. „Ich hätte dich nicht so anschnauzen sollen.“ stellte er klar und hörte sich jetzt nur noch matt an. „Es ist nur …“ Tom sah Brie noch immer direkt an. „Ich habe mir mit der Party eben echt Mühe gegeben. Ich wollte, dass sie total cool wird. Und viele Gäste empfinden das ja auch so.“ Ein fragiles Lächeln huschte über Toms Lippen, bevor sich seine Miene wieder verfinsterte. „Aber die Person, von der ich mir am meisten gewünscht hätte, dass ihr die Party gefällt, gerade diese Person ist hier unglücklich.“ Er ließ die Schultern sinken. „Ich hatte mir den Abend wirklich anders vorgestellt. Ich hatte gedacht, dass wir beide Spaß haben würden.“ Tom seufzte bitter. „Es hätte unser Abend sein sollen, aber davon merkt man gerade nicht viel …“ Der Brite holte tief Luft. „Das hier ist scheiße. Was habe ich von der coolsten Party der Welt, wenn du sie lahm findest?“ Wenn Brie sie lahm fand, dann war sie lahm. Denn letztlich zählte nur ihre Meinung. Dann sagte Tom ein paar Worte, die ihm in dem Moment gar nicht weh taten. „Es tut mir leid.“ Der Engländer räusperte sich und fand sein jungenhaftes Zwinkern wieder. Zeit für ein Friedensangebot. „Hey ähm, glaubst du, dass wir die Party noch retten können, wenn ich Besteck für die Pizza auftreibe?“